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Foto Tarelkins Tod

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TARELKINS TOD
Eine Farce in drei Teilen
von Alexander Suchovo-Kobylin
Deutsch von Heiner Müller
Premiere am 3. Dezember 2003
Spielort: Wi.Z

Inszenierung Ralf Siebelt
Ausstattung Andreas Rank
Musik Edgar Mann
mit Wenzel Banneyer, Ina Fritsche, Anne Klöcker, Gunnar Kolb, Leif Stawski sowie Ilka Bleidistel, Siegfried Dambacher, Jan Philipp Fiedler, Patrick Huber, Sonja Kratzer, Gerlinde Kuttruf und Natalie Sommer (Statisterie)

Aufführungen: Aktueller Spielplan

Staatsrat Tarelkin hat kein Geld und viele Schulden. Im Ableben von Nachbar Kopylow, fern der Hauptstadt begraben, leuchtet der Ausweg: Tarelkin stirbt, Kopylow lebt. Tarelkin lebt. Als Kopylow.

Wo nichts war, ist nichts zu holen, die Gläubiger starren ins Leere, das Begräbnis zahlt die Staatskasse, die Leichenrede hält Tarelkin selbst. Sattes Eigenlob. Sein Kapital ruht in der Tasche: die belastenden Papiere, die er seinem verhassten Vorgesetzten Warrawin entwendet hat, taugen für eine lukrative Erpressung. Anonym und aus der Ferne. Warrawin sucht besessen nach den Dokumenten und entdeckt das falsche Spiel. Tarelkin ist Kopylow. Aber Kopylow ist tot. Und Tarelkin? Auch tot. Wer ist das dann? Eine Gefahr, soviel steht fest. Ein Staatsfeind. Blutsauger. Terrorist. Warrawin hat das Spiel längst durchschaut, was jetzt kommt ist Rache.

Er ruft die geballte Staatsmacht auf den Plan, der Beamtenapparat beginnt zu malmen. Zeit für kleine Aufsteiger, um an der Macht zu schnuppern, zu buckeln, zu ruckeln, die Ellenbogen auszufahren. Jetzt wird geprüft, verhört, geschmiert, geboxt, geschubst und arrangiert in den Hinterzimmern der Macht.
Doch der Wiedereinstieg ins Geschäft ist bekanntlich nicht unmöglich...

Heiner Müllers Übersetzung dieser artifiziellen Farce mit kafkaesken Zügen um Seilschaften, Machtgelüste, Korruption und Korrumpierbarkeit läßt das 19. Jahrhundert weit hinter sich.
War es das repressive Russische Reich, das Suchovo-Kobylin mit scharfer Zunge verlacht und bloßgestellt hat, so sind es die Schmiergeldaffären, Spendenskandale und die jüngsten Erpressungsversuche unserer Tage, die heute die Folie für diesen Text abgeben.

Der Irak-Krieg, auf den wir mit der Inszenierung SIEBEN GEGEN THEBEN reagiert haben, verdrängte das Vorhaben TARELKINS TOD in der letzten Spielzeit aus dem Programm. Das Stück wird nun in dieser Saison realisiert.

Alexander Suchovo-Kobylin ist ein hier zu Lande nahezu vergessener Dichter des 19. Jahrhunderts. Noch heute nennt man ihn in Russland im selben Atemzug mit Gogol und Ostrowski. In eine Adelsfamilie hineingeboren, stand ihm eine große Karriere im Staatsdienst bevor. Doch seine Ansichten waren nicht kompatibel, seine Stücke wurden zensiert, er wurde Opfer absurder Unterstellungen, verbrachte große Teile seines Lebens in Staatsgefängnissen und hatte, als er 1903, zermürbt vom Kampf mit den Behörden, starb, keines seiner Stücke je auf der Bühne gesehen. Er erlebte nicht, wie TARELKINS TOD zu einem der wichtigsten Stücke der russischen Avantgarde wurde.

»Was für ein Papierkrieg: 75 Jahre auf der Welt zu sein und es nicht hinzukriegen, drei Stücke auf die Bühne zu bringen! Was für ein Wahnsinn: einem Menschen einen lebenslangen Maulkorb zu verpassen, dem die Gabe zu sprechen gegeben ist! Und wozu? Weil seine Satire auf das Laster kein Lachen, sondern Erschaudern hervorruft... Habe ich etwa kein Recht, am Ende meines Lebens und in der Ödnis dieser Nacht wie Kaiser Augustus zu rufen: "Vater, Vater, gib mir meine Jahre, meine Jugend und meine endgültig erloschenen Kräfte zurück?«
[Alexander Suchovo-Kobylin, Tagebuchaufzeichnungen]