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Foto Tarelkins Tod

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TARELKINS TOD
Eine Farce in drei Teilen

Aalener Nachrichten, 05.12.2003
Wenn Tarelkin auf Stan und Laurel trifft

  • Den Staub von 150 Jahren bläst das Theater der Stadt von "Tarelkins Tod". Raumgreifend und modern lässt es die Farce von Alexander Suchovo-Kobylin wieder auferstehen, als turbulenten Slapstick auf großer Bühne. Und was für einer Bühne.

    Alles ist möglich auf dieser roten Schräge im schwarzen Raum. Die Schauspieler wachsen von hinten aus dem Abgrund heraus oder stürzen von oben hinein. An der Seite tauchen sie auf und aus Klappen, die in die Schräge eingelassen sind. Sie rennen und robben und kullern auf den Zuschauer zu, sie verschwinden und finden sich plötzlich wieder, einander gegenüber, Nasenspitze an Nasenspitze.

    Sie spielen, was das Zeug hält, allen voran Wenzel Banneyer in der Doppelrolle als Tarelkin und Kopylov. Bei der Premiere im Wi.Z zündet sein Charme sofort. Mit nonchalantem Witz gibt er den windigen, findigen Beamten, der seinen Kopf aus der Schuldenschlinge ziehen will, indem er sich eine Glatze übers gescheitelte Haar stülpt, sich die Ohren zurechtzupft und so - flupp - in die Rolle seines toten Nachbarn Kopylov schlüpft.

    Aus Tarelkins Gegenspieler, seinem Vorgesetzten Warrawin, machen Regisseur Ralf Siebelt und Dramaturg Winfried Tobias kurzerhand eine Warrawina. Und nicht zum Schaden. Ina Fritsche ist eine genüsslich fiese Generalsekretärin, so lange sie im Spiel um die Macht die Fäden in der Hand hält. Aber sie darf auch anders: hysterisch kreischen und giftig schäumen auf der Suche nach Papieren, mit denen Tarelkin sie erpressen könnte.

    Bevor die beiden ihr Katz- und Mausspiel beginnen, jagt Tobias dem Publikum einen Schrecken ein. Er tritt vor die Ränge. Wenn jemand das unkostümiert tue, sei das ein schlechtes Zeichen, so der Dramaturg. Anne Klöcker, die im Stück die Rolle von Ljudmila, einer Verflossenen Kopylovs, spielt, ist erkrankt. Das Publikum darf dennoch aufatmen: Intendantin Simone Sterr springt ein. Und sie ist keinesfalls eine Verlegenheitslösung, sondern rückt dem vermeintlichen Kopylov sinnlich-verrucht auf die Pelle.

    Die Aalener Inszenierung von "Tarelkins Tod" lebt vom Slapstick: Mimik und Gestik sind übersteigert. Am buntesten treiben es Leif Stawski und Gunnar Kolb als Polizeiinspektor Raspljujew und Oberinspektor Och. Die beiden sollen untersuchen, ob hinter dem vermeintlichen Kopylov nicht ein Vampir steckt. In ihrem Eifer rennen sie in bester Stan-und-Laurel-Manier mit den Bäuchen gegeneinander.

    Manchmal schwappt die Übertreibung ins schwer Erträgliche. Die maßlose Fressgier des Raspljujew würde man auch begreifen, wenn er sich nicht grunzend und schnaubend ganze Töpfe über den Kopf stülpte. Dafür zaubert der Anblick der Haushaltshilfe Mawruscha ein Schmunzeln auf die Lippen der Zuschauer, bevor Gunnar Kolb in seiner zweiten Rolle auch nur den kleinen Finger hebt. Im Négligée mit Häubchen ist er göttlich.

    Unersetzlich sind die Statisten: Ilka Bleidistel, Siegfried Dambacher, Jan Philipp Fiedler, Patrick Huber, Gerlinde Kuttruf und Nathalie Sommer verkörpern talentiert mal Beamte, mal Gläubiger, mal die Kinder Ljudmilas. Artistisch leicht gelingt ihnen der Umgang mit den Bodenklappen. Ein Höhepunkt: Postsport-Judoka Siegfried Dambacher taucht kopfüber ab.

    Immer sind die Zuschauer ins Stück mit einbezogen. Das ist eine der Stärken von Siebelts und Tobias' Inszenierung, Edgar Manns Musikauswahl ist eine weitere. Sagenhafte Bilder lässt Andreas Ranks Bühnenraum zu. Angesichts der visuellen Offenheit und so einiger Freiheiten mit dem Text wird die Botschaft des Autors - Kritik an Behördenwillkür, Machtgier und Korruption - zeitlos. Und doch bleibt "Tarelkins Tod" vor allem eins: ein wunderbar ulkiges Theatervergnügen.
    (Sylvia Möcklin)


Schwäbische Post, 05.12.2003
Zuhause auf der schiefen Bahn
In Ralf Siebelts Inszenierung der russischen Beamtenfarce "Tarelkins Tod" geht es Schlag auf Schlag

  • Für diese Belegschaft ist das ganze Leben eine schiefe Bahn. Auf der bewegen sie sich ganz selbstverständlich. Die Beamten im zaristischen Russland, auf deren Selbstbedienungsmentalität Alexander Suchovo-Kobylin mit seiner Farce "Tarelkins Tod" ein besonders grelles Licht wirft. Am Theater der Stadt Aalen hat man den hierzulande kaum gespielten Klassiker noch etwas zeitgeistig aufgepeppt.

    Eine Papierflut ergießt sich über das knallige Rot der schrägen Bühne. Papier ist geduldig; manchmal ist es das Geld nicht wert für das es bedruckt worden ist und manchmal ist es sehr viel Geld wert, wenn es in die falschen Hände kommt. Wer die richtigen Papiere hat, kommt weiter. Papiere sind das Metier von Beamten. Ein symbolischer Regen also, der alsbald mit Laubsauger-Gebläse entsorgt wird.

    Andreas Ranks schiefe Ebene signalisiert zweierlei: erstens ist diese ganze Farce ein schräges Unternehmen und zweitens geht hier ohnehin nichts mit rechten Dingen zu. Statt durch schlagende Türen wie in der klassischen Komödie verschwinden die Schauspieler durch Klappen im Bühnenboden, werden an anderer Stelle wieder ausgespuckt - das Böse ist schwer zu fassen.

    Und böse sind sie alle in diesem Stück: der Beamte Tarelkin, der nach dem eigenen getürkten Tod in die Gestalt des real verstorbenen Staatsrats Kopylov schlüpft, um seine Gläubiger loszuwerden und seine Chefin, die Generalsekretärin Warrawina, mit geklauten Geheimpapieren zu erpressen. Die enttarnt ihn wiederum mit Hilfe korrupter Polizisten und diffamiert ihn als Untoten, als mit furchtbarem Saugstachel ausgestatteten Vampir, dem nur mit Wasserentzug beizukommen sei. Und das tumb-beflissene Spürnasen-Duo Och und Raspljujew in Gestalt des massigen Gunnar Kolb und des drahtigen Leif Stawski springt gierig hechelnd auf diesen Zug auf.

    An diesem Punkt dreht die Farce ins Absurde ab, weist schon voraus zu Apollinaire, Ionesco oder Dario Fo. Eine Gesellschaft von Blutsaugern. Gehüllt in graue Anzüge. Wem fallen da nicht gleich Michael Endes Graue Herren ein, die Zeitdiebe.

    Behende lässt Regisseur Ralf Siebelt das Ensemble und sechs Statisten zur effektvoll dosierten Musikauswahl von Edgar Mann über die Bühne wuseln, Klappe auf, Klappe zu, mit Leuchten in Gesichter leuchten und deftig auftrumpfen. Wenzel Banneyer spielt virtuos sein Doppelleben als Tarelkin und Kopylov; ein geschmeidiger, pragmatischer Gauner, der zum Schluss sogar noch seiner ausgekochten Gegenspielerin Warrawina (Ina Fritsche gibt sie schlüssig als mit ein paar Spritzern Hexenblut angereicherte omnipotente Politkommissarin) ein paar Rubel aus den Rippen leiert. Gunnar Kolb darf nicht nur den Cheffahnder mimen sondern auch noch als trampelige Haushaltshilfe Mawruscha ein Kabinettstückchen abliefern. Und die Intendantin Simone Sterr hat als echte Vorfrau die Aufführung gerettet, indem sie als Exgeliebte Ljudmila Spiridonowna für die erkrankte Anne Klöcker einsprang und dabei eine gute Figur machte. Als Spiridonownas Kinder, aber auch als Beamte und Gläubiger kamen die wackeren Statisten (Ilka Bleidistel, Siegfried Dambacher, Jan Philipp Fiedler, Patrick Huber, Sonja Kratzer, Gerlinde Kuttruf und Natalie Sommer) auf der schiefen Ebene nicht ins Rutschen.

    So weit so gut. Eine Schwäche des Stücks jedoch hat Siebelts Inszenierung eher noch betont. Das Publikum erlebt eine hermetische Gesellschaft, die um sich selbst kreist und sich selbst reproduziert. Auch wenn sich die Akteure in Brechtscher Manier direkt an die Zuschauerinnen und Zuschauer wenden, um so zu signalisieren, man sitze im gleichen Boot, bleibt das Publikum außen vor. Diese Bühnenwelt, in der sich Melancholie, Pragmatismus und nackter hemmungsloser Egoismus zu ganz eigenen Charakteren verbinden, bleibt eine Welt für sich. Die sich deshalb ab und an noch etwas schneller hätte drehen dürfen. Hätte sich der verfressene Inspektor beim Leichenschmaus nur zweimal in den Kochtopf gewühlt, wäre er auch nicht verhungert.

    Das russische Buffet anschließend war sehr lecker.
    (Wolfgang Nussbaumer)