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Warum diese Komödie, jeden Tag?
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Endspiel
von Samuel Beckett

Schwäbische Post, 04.10.2003
Das Entsetzen beim Wort genommen
In Samuel Becketts "Endspiel" geht das Ensemble zum Saisonauftakt als Sieger vom Platz

  • Wenn der große Samson in der Sesamstraße nicht mehr weiter weiß und Trost sucht, greift er zu seinem Schnuffeltuch. Wenn der große Hamm im "Endspiel" von Samuel Beckett weiß, dass das Ende im Ende gekommen ist, bedeckt er sein Gesicht mit einem Leinentuch. Ein Leichentuch über die Welt. Kein Trost also; und doch gewaltiger Beifall des Premierenpublikums für eine meisterliche Ensembleleistung auf der Probebühne im Wi.Z.

    Das erste Wort in diesem sperrigen Stück sagt Clov, nachdem er die Spielstätte eingerichtet hat: "Ende". Dieses Spiel ist zu Ende, bevor es begonnen hat. Und darum geht es. Um die Ausweglosigkeit des Handelns, um die Orientierungslosigkeit in einer schon abgestürzten Welt, die als Klangkakophonie (Edgar Mann wurde auf dem Aalener Wochenmarkt fündig) in diese hermetisch abgeschlossene Endzeitinsel hereindringt, wenn Clov auf Hamms Geheiß ab und zu aus den Fenstern blickt.

    Warum machen die großen Clowns uns so besonders herzlich Lachen? Weil sie das Unglück zelebrieren, das Wissen um die Vergeblichkeit des Tuns, weil sie die Philosophen des Scheiterns sind. Weil sie uns lachen machen nicht aus Schadenfreude, sondern über uns selbst. Die großen Clowns. Becketts "Endspiel" ist großes Clowntheater, weil es mit dem Entsetzen nicht Spott treibt, sondern es beim Worte nimmt. Worte die wie Billardkugeln sich auf magische Weise gegenseitig in Bewegung halten, zu aberwitzigen Lösungen finden, sich selbst in Frage stellen ohne nach Antworten zu suchen. Denn die gibt es nicht im Spiel dieses Quartetts, in dem alle irgendwie von einander abhängig sind:

    Der blinde, an den Rollstuhl gefesselte Alleinherrscher Hamm - dessen Macht im Wissen um den Zugang zum Speiseschrank besteht; der zu dauernder Bewegung, verdammte Clov als des Narren Narr; die beiden Alten Nell und Nagg, die wie uralte Schildkröten aus den von der Decke hängenden silberfarbenen Müllsäcken lugen, in die sie die Bühnenbildnerin Marion Eiselé sinnfällig entsorgt hat. (Redlicherweise verweist sie in Form zweier rostiger Blechtonnen auf das ursprünglich vorgesehene Behältnis.)

    Ansonsten lässt Ralf Siebelt seine Inszenierung klugerweise völlig von der brüchigen Poesie, vom einzigartigen Rhythmus und der Musik dieser Sprache leiten; vom herben Adagio bis zum Crescendo im furiosen Allegro der Monologe; das Rondo wird zum Totentanz. "Nichts ist komischer als das Unglück", wispert Ina Fritsches (grandiose) Nell mit sterbenstoten Augen aus ihrem Kokon. Warum soll sie da ihrem Gatten Nagg (Leif Stawski kongenial in der Erfindung der Langsamkeit beim Erzählen eines Witzes, aber vielleicht in der Premiere ein bisschen zu leise) noch den Rücken kratzen? Total Banales und Seinswurzelforschung gehen Hand in Hand. Wie in der Gestalt von Wenzel Banneyers clowneskem Clov. Brillant und permanent zwischen oberflächlichem Gleichmut und aufmüpfigem Tiefsinn oszillierend, ist er dem mit überwältigend banger Bösartigkeit auf tönernem Selbstbewusstsein thronenden Dominator Hamm des Gunnar Kolb Diener und Widerpart, bis man am Ende nicht mehr weiß, wer eigentlich um wen kreist in diesem Mikrokosmos der von allen guten Geistern Verlassenen.

    Verständlich, dass in der von den Wundem der Wirtschaft und der Verdrängung geprägten Adenauerära das "Endspiel" kein Verständnis fand. Heute kommt uns das Szenario wieder fühlbar nahe. Der stellvertretende Leiter des städtischen Kulturamts, Joachim Wagenblast und Intendantin Simone Sterr vernetzten anschließend mit ihrem Appell an das Publikum, für die Erhaltung der kulturellen Grundversorgung und gegen den von Bund und Land provozierten Kahlschlag der kommunalen Finanzen einzutreten, Fiktion und Wirklichkeit.
    (Wolfgang Nussbaumer)


Aalener Nachrichten, 04.10.2003
"Endspiel" bringt die Gedanken auf Trab
Hereinspaziert ins absurde Welttheater, in dieses sinnlose Leben: Das Theater der Stadt Aalen gibt Samuel Becketts "Endspiel".

  • "Das ganze Leben dieselben Albernheiten", sagt Clov. Dabei ist das Leben gar nicht so albern. Becketts Welt ist leer, der Mensch verlassen, sein Gerenne sinnlos, mit der Geburt beginnt die Verwesung. "Das Ende ist im Anfang, und doch macht man weiter", sagt Hamm. Warum? Keine Antwort bei Beckett als die, dass es absurd ist. Ein Entrinnen gibt es nicht, seine Figuren sind verdammt zum "Endspiel". Dem Zuschauer verlangt Beckett einiges ab. Als "sperrig" und "schwere Kost" haben Kritiker seine Werke bezeichnet. Die Absurdität der Welt übersetzte er in absurde Szenen. Die Deutung bleibt dem Zuschauer überlassen; jedem die seine, auch im "Endspiel". Ralf Siebelt lässt in seiner Inszenierung jedem diese Freiheit. Gleichwohl bietet er Hilfestellung an, befreit den Stoff von Schwere und transportiert ihn über alle Sinne: Sehen, Hören, Riechen.

    Der Duft nach frischen Sägespänen steigt dem Premierengast in die Nase, noch ehe er den Zuschauerraum im Wi.Z betreten hat. Unwillkürlich formt sich der Gedanke: "Zirkusluft". Die Sägespäne bedecken Bühne und Boden bis hin zu den Zuschauerplätzen. Ausstatterin Marion Eisele schafft so sichtbar jene Verbindung zwischen Darstellern und Publikum, die Becketts "Endspiel" braucht.

    Auch auf der Bühne stimmt die Übertragung von Text in Bild. "Es ist grau", stellt Clov fest, als er die Welt betrachtet. "Hellschwarz, allüberall." Hellschwarz ist es auch auf der Bühne, nur Neonröhren definieren den Spielort. Ihr fahlgrünes Licht wirkt so faulig wie die Figuren in seiner Reichweite.

    Sie haben schwarze Zähne, diese Figuren, und sind verstümmelt. Leben ist Verstümmelung. Gunnar Kolb gibt den Hausherrn Hamm, an einen provisorischen Rollstuhl gefesselt und blind. Einmal nimmt er die schwarze Brille ab. Die Augen sind weiß und verdreht.

    Wenzel Banneyer als Clov ist halb Zirkusaffe, halb Clown. Mit hängenden Armen hampelt er über die Bretter. Sein Gerenne nervt. Es ist laut, und Clov rennt viel, hin und her, sinnlos geschäftig, man will, dass er aufhört, aber er hört nicht auf. So ist das Leben. Clov ist tollpatschig, dauernd klemmt er sich die Finger, das wieder ist lustig. "Nichts ist komischer als das Unglück."

    Nell sagt das, gespielt von Ina Fritsche. Sie und Leif Stawski als Nagg sind die Eltern. In ihren Stimmen ist noch Zärtlichkeit. Marion Eisele hat sie in silberne Leichensäcke gesteckt und aufgehängt. Die Alten haben keinen Platz auf der Erde. Auch die Liebe nicht.

    Alle vier Schauspieler spielen hervorragend und präzise. Jeder Ton, jede Pause, jede Nuance sitzt; nur gegen Schluss wirkt Kolbs und Banneyers Spiel verwischter - oder ist es die Konzentration des Zuschauers, die nach fast zwei Stunden nachlässt?

    In der Welt draußen ist bei Beckett "nichts". Nicht Tag, nicht Nacht. Ein Zustand zwischen Sein und Nicht-Sein und auf jeden Fall: Stille. In Siebelts Inszenierung ist es unerträglich laut, sobald Clov ein Fenster zur Welt öffnet. Edgar Manns Klangcollagen hören sich an wie hundert Rummelplätze. Ob das die passende Entsprechung ist? Zumal man die Schauspieler über den Lärm kaum noch hört.

    Egal. Becketts Text bringt die Gedanken auf Trab und Siebelts Inszenierung alle Sinne dazu. Sie schmerzt fast körperlich, berührt, stößt ab, erheitert. Lachen wir über dieses alberne Leben. Nichts ist so lustig wie ein trauriger Clown. Deshalb: Licht an, Manege frei. Da es in Aalen als Zirkus gespielt wird, spielen wir es eben so: das Endspiel.
    (Sylvia Möcklin)