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"Intrige gefällig, Herr Graf?"
Probenfoto: Der tollste Tag

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DER TOLLSTE TAG
von Peter Turrini

Schwäbische Post, 7.7.2003
Geist gegen Geilheit
"Der tollste Tag" hat auf Schloss Fachsenfeid tolle Premiere

  • Hoch fliegen die Schwalben am Himmel, als Figaro im Rhythmus des begleitenden Akkordeons eine Luftmatratze aufpumpt. Das Lager für die Hochzeitsnacht mit Susanne. Das fängt gut an unter den Linden im Park von Schloss Fachsenfeld. Später wird "Der tollste Tag" im Leben des Figaro im Tiefflug der Schwalben enden. Sogar die äußeren Umstände passen sich den inneren des Stückes an. Alles perfekt an dieser Inszenierung.
    Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Aber es waren mindestens drei, die am Freitagabend weit oben durch das Blau schössen, das die Wolkenberge geräumt hatten. Ein hoffnungsvolles Zeichen für die Freilichtpremiere von Peter Turrinis Interpretation des Figaro-Stoffes "Der tollste Tag". Aufgeräumt das Publikum, gerüstet mit Decken und Regencapes. Aufgeräumt der von Anne Weiler luzide gestaltete Spielplatz zwischen Wirtschaftsgebäude und Lindenbäumen, in denen sich Intriganten trefflich zum Lauschangriff verstecken können. Ein lichtes Bambusgestell konturiert ein Zimmer; ein paar Leitern aus Bambus erschließen die Scheunenfenster.

    Freie Sicht also auf das Geschick der Akteure, eine Geschichte mit Haken und Ösen zu erzählen. In der Verstand und Witz fürstliche Willkür konterkarieren, in der gräfliche Geilheit virtuos und selbstbewusst ausgebremst wird. Dieser Figaro und seine Susanne gewinnen unsere Herzen im Nu; ein Traumpaar, das zusammenhält wie Pech und Schwefel; eine Phalanx der unverbrüchlichen Liebe, an der sich der sabbernde Graf und seine Schranzen die faulen Zähne ausbeißen werden bei dem Versuch, dem Recht der ersten Nacht neue Geltung zu verschaffen.

    Ein Königreich für eine Intrige. Jeder gute Streich wird mit einem noch besseren pariert. Pfeilschnell wie die Schwalben durch den Himmel schießen und ihre kühnen Kurven fliegen, funkelt unten im Hof der Wortwitz, schlagen die Parteien überraschende Haken. Das Personal hält locker mit seinen Parolen-Schritt. Das Florett der aufmüpfigen Domestiken bietet dem schweren Säbel der Herrschaft scheinbar mühelos Paroli. Das ist der Stoff aus dem Komödien sind. Die Klugscheißer und Machthuber kriegen eine lange Nase gezeigt. Ihre Rankünen gehen am Ende ins Leere, Liebe und Einsicht obsiegen und garnieren den Eierkuchen mit Friede und Freude. Das Ensemble des Theaters der Stadt Aalen gibt dem Affen hinreißend Zucker, mimt nach Herzenslust, überzieht maßlos genau bis zu dem Punkt, an dem das Maß voll ist; und akzentuiert den noch mit einem Ausfallschritt aus der Rolle. ("Der Auftritt passt mir wenig"). Ist doch nur Spaß, ist doch nur Komödie. So machen sie sich einen Jux in hinreißend komischen Szenen, in Miniaturen voller Esprit. Der Pas de Deux, den der leckerkecke Page Cherubin (Ina Pritsche) und die in ihn verschossene Gräfin (Katja Gaudard) als verklausulierten Liebesakt tanzen - im Abstand von gut zehn Metern! - ist eine Sternstunde intelligenten Sommertheaters. Augenfutter für die Phantasie.

    Dann ist Pause. Der Blick geht zum Himmel. Warum fliegen die Schwalben so tief? Der lüsterne Graf (den Gunnar Kolb mit seiner ganzen leiblichen Macht als Duodezfürsten-Popanz aufbläst) hat bei seiner Triebbefriedigung keinen Zentimeter gut gemacht, aber Figaro und Susanne sind auch noch nicht getraut. Nach der Pause türmen sich Wolkenberge; Regenrinnsale kühlen das Komödientemperament auf klamme Tragödientemperaturen ab. Das passt zum Fortgang des Stückes, müsste aber nicht sein. Die Kälte der Nacht schärft die Rechtsbeugung gegen Bares, mit der Figaro zur Heirat mit dem alten Schrapnell Marcelline verdammt wird. "Scheißkomödie" , meint er. Wo er Recht hat, hat er Recht. Wenn sich Allmacht und Justiz zusammentun, bleibt die Gerechtigkeit auf der Strecke, signalisiert der Dichter.

    Dann ist Schluss mit lustig. Dem Grafen sind alle von seinem Auge und Ohr Bazillus (Leif Stawski) nach mephistophelischer Manier im Handumdrehen inszenierten Intrigen scheißegal. Er lässt die geschminkte Maske des barocken Lebemannes fallen und überfällt mit brachialer Gewalt Susanne. Woraufhin ihn Figaro wie Ziethen aus dem Busch kurz und trocken ins Jenseits befördert und mit der Geliebten in eine ungewisse Zukunft flieht. Gelegenheit für Katja Gaudards Gräfin, den Verlust erinnernd zu beklagen ohne Freiheit zu gewinnen. Der begehrte Cherubin verdünnisiert sich nämlich auch. Nur Verlierer also? Nein. Gewinner sind der Kriegsgewinnler Bazillus und die Musikanten. Der - fleddert die Leiche seines Chefs und entlohnt Kontrabassisten (Vincent Holstein) und Akkordeonspielerin (Yvonne Nies) mit gräflichen Goldzähnen.

    Anders als Beaumarchais und Mozart in ihrer historisch ja auch völlig anders gelagerten Situation bedient Peter Turrini nicht die Erwartungen seines Publikums. Den heiter-fiktiven Schein kontert er mit der Erfahrung des Seins. Zwei Wochen vor dieser Premiere hatte oben im Schloss Martin Walser bei der gemeinsamen Lesung mit dem Publizisten Georg Heller aus seinem Roman "Der springende Brunnen" die Szene mit dem Zirkusclown zitiert, der mit kaum verschlüsseltem Wortwitz den Nazis ans Bein pinkelt und dafür zusammengeschlagen wird. Die autobiografische Erinnerung belegt Turrinis These. Auch wenn der Zufall bei dieser Konstellation Regie geführt haben mag, macht sie die Tiefenwirkung dieser Komödie perfekt.

    Eine Komödie, die Intendantin Simone Sterr als großes dynamisches Schauspielertheater inszeniert. Vorneweg Wenzel Banneyer als wissender Figaro, der mit Worten so gut schießt wie Robin Hood mit Pfeilen - und am Ende ebenso konsequent handelt. Ihm zur Seite Anne Klöcker als kraftvoll-sinnliche Susanne, an der des Grafen joviale Maske zerbricht; Katja Gaudards Grälin changiert wie das ganze Stück bravourös zwischen Komödie und Tragödie; sie lässt von allem Anfang an durchblicken, dass im Grunde für sie schon alles verloren ist; Ina Fritsche macht als männermordender Trampel Marcelline ebenso gute Figur wie in der Hosenrolle des kessen Frauenlieblings Cherubin oder als korrupter Richter; Leif Stawski ist als dramatische Allzweckwaffe mal öliger Advokat und Arzt Bartholo, mal teuflischer Intrigenspinner Bazillus, mal tierisch trunkener Gärtner. Viele hoch verdiente Bravos, nachdem er mit dem Ruf "Revolution" in der nassen Nacht verschwunden war; lang anhaltender Beifall des bis zum Ende ausharrenden Publikums. Dieses Ensemble konnte man einfach nicht im Regen stehen lassen. Die Schwalben saßen da schon lange in ihrem Nest.
    (Wolfgang Nussbaumer)


Aalener Nachrichten, 7.7.2003
Eine Achterbahnfahrt ins Grauen, wenn die Gewalt stärker ist als der Witz

  • Nasskalt war die Premiere von Peter Turrinis "tollstem Tag" auf Schloss Fachsenfeld. Das Theater der Stadt Aalen entschädigte sein Publikum mit einem spielfreudigen Ensemble in einer spannenden Inszenierung.

    Man kann darüber streiten, ob es fürs Sommerprogramm des Theaters eines Stückes bedurft hätte, in das ein streitbarer Österreicher Anfang der 70er-Jahre seine Gesellschaftskritik packte. Er wolle dem Publikum "die schmackhafte Theatersuppe versalzen", hat Peter Turrini einmal gesagt. "Aber erst gegen Ende des Stücks." Dafür nahm er den "Figaro" von Beaumarchais und ließ dessen Hochzeit platzen.

    Das Aalener Publikum war in der Freilichtsaison bislang leichtere Kost gewöhnt, mit Happy End natürlich; Shakespeares "Sommernachtstraum" zum Beispiel. Es könnte sich umgewöhnen. Was Simone Sterr in ihrer Inszenierung von "Der tollste Tag" aus der burlesken, teils derben Vorlage macht, darf sich sehen lassen. Das Premierenpublikum jedenfalls quittierte die Achterbahnfahrt ins Grauen mit Bravorufen und heftigem Applaus.

    Dabei hatten die Gäste einiges auszuhalten. Kalt war's im Garten von Schloss Fachsenfeld und nach der Pause von oben nass. Mit Decken und Schirmen wappneten sich die Zuschauer gegen das Wetter, rückten zusammen auf den Bänken beiderseits der Spielwiese und guckten, was sich zweieinhalb Stunden lang in ihrer Mitte tat.

    Das war turbulent. Die Handlung: Graf Almaviva will Figaros hübsche Braut Susanne vernaschen. Diener und Zofe wehren sich mit Wortwitz und List, mit der Hilfe des Pagen Cherubin und der Gräfin Almaviva. Doch anders als bei Beaumarchais kann der kleine Mann den Mächtigen nicht übertrumpfen. Herr Graf will die Copulation, "Hipp! Hipp! Olé". Und öffnen ihm die Intrigen seines Handlangers Bazillus nicht Susannes Schoß, so soll es die Gewalt. Almaviva versucht am Ende die Zofe zu vergewaltigen; dafür erwürgt ihn Figaro mit der Peitsche. Die Gewalt ist stärker als der Witz. Das sei das Thema seines Stücks, wird Turrini allenthalben zitiert. Dem Zuschauer bleibt das Lachen in der Kehle stecken.

    Bis es soweit war, durfte er die Komödie genießen; vor allem das, was Simone Sterr daraus gemacht hat. Unter ihrer Regie entfaltet sich mehr Witz, als die teils zwar pointierten, teils aber auch platten Dialoge allein vermuten lassen. Es entsteht mehr Bewegung, als unter Turrinis Vorgabe, in einer Kiste zu spielen, je möglich wäre.

    Ausstatterin Anne Weiler hat ein Gerüst aus Bambus auf die Wiese gestellt, mit Leitern die Linde auf der einen Seite und die Scheunenfenster auf der anderen mit einbezogen. Auf diesem Spielplatz wird gerannt, geklettert, gestolpert und gerutscht, was das Zeug hält -- aber nie zufällig. Die Schauspieler hängen an den unsichtbaren Fäden einer clownesken Choreografie.

    Das Rauf und Runter gilt auch fürs Gefühl. Übermütigen, irrwitzigen Szenen setzt die Aalener Intendantin Momente des Innehaltens entgegen. Früh erhält die Komik manchen Schlag ins Gesicht.

    Das junge Ensemble meistert das Spiel mit Schwung. Erfrischend wendig ist Wenzel Banneyer in der Rolle des Figaro. Aus dem blitzgescheiten Narren mit messerscharfem Witz wird glaubhaft ein flammender Redner für die Gerechtigkeit, ein mörderischer Held und Revolutionär. Vollblütig, mit viel Ausstrahlung gibt Anne Klöcker die Susanne. Gunnar Kolb ist Graf Almaviva: ein barocker Wahnsinniger, ein verzogener Despot, ein gewalttätiges Ungeheuer mit rot geschminktem, grob verzerrtem Mund.

    Die Gräfin spielt Katja Gaudard. Ganz offensichtlich freute sich das Publikum über das Wiedersehen mit der Schauspielerin, die schon unter Udo Schoen begeisterte, genauso wie über ihr ausdrucksstarkes Spiel. Extravagant, urkomisch und herzzerreißend einsam ist ihre Almaviva. Der große Applaus am Ende sprach Bände.

    Fast alle Schauspieler übernehmen mehrere Rollen. Besonders wandlungsfähig müssen Ina Fritsche und Leif Stawski sein. Ina Fritsche schlüpft abwechselnd in die blaue Livree des zarten Pagen Cherubin und in die orangenen Pluderhosen der plumpen Marcelline. Als letztere ist sie das I-Tüpfelchen des Abends. Leif Stawski darf als Intrigant Bazillus so schmierig sein wie als Anwalt Bartholo korrupt und als Gärtner Antonio betrunken. Die Tulpen, die er laut Turrini beweint, haben die Aalener angesichts der Gegebenheiten in den Beeten des Barons übrigens in Stiefmütterchen umgedichtet. Aber keine Angst, es werden keine echten zertrampelt. Damit dem Schlossgärtner nicht wie Antonio das Herze bricht.

    Bleiben zwei Leckerbissen. Vincent Holstein und Yvonne Nies von der Musikakademie Schloss Kapfenburg begleiten den Klamauk musikalisch. Teilweise haben sie dazu Stücke aus Mozarts "Figaro" bearbeitet. Und die Kostüme am "tollsten Tag" sind einfach ein Augenschmaus.
    (Sylvia Möcklin)