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"Die Luft zischt, zerschnitten von Speeren."
Foto Sieben gegen Theben

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SIEBEN GEGEN THEBEN
von Durs Grünbein nach Aischylos

Neu-Ulmer Zeitung, 13.05.2003
Von Theben in den Irak
Aischylos vom Theater Aalen

  • Mit der modernen Inszenierung der antiken Tragödie von Aischylos "Sieben gegen Theben" in der Fassung (2001) von Durs Grünbein gelingt es Regisseur Ralf Siebelt, ein weiteres Highlight in den Reigen der Baden-Württembergischen Theatertagen zu setzen. DIe Zuschauer erlebten im Podium des Ulmer Theaters hautnah eine ebenso tiefgreifende wie dynamische Inszenierung mit einem spieltechnisch versierten Ensemble.

    Der 11. September und die Irak-Krise veranlassten das Theater Aalen unter Deutschlands jüngster Intendantin, der 32-jährigen Simone Sterr, die Tragödie auf den Spielplan zu setzen. Darin geht es um Fluch und Schuld; Krieg und Brudermord. Ein Bote bringt Eteokles Kunde vom heranrückenden, siebenfachen Heer, das unter der Führerschaft seines Bruders Polyneikes steht, der die Herrschaft über Theben beansprucht. Eteokles benennt für jedes der sieben, vom Feind umzingelte Tore, einen Kämpfer, der den Gegner bezwingen soll. Er selbst will gegen den eigenen Bruder vor dem siebten Tor antreten. In diesem Zweikampf fallen beide Brüder.

    Die Zuschauer sitzen sich in einer langen Schleuse auf zwei Bankreihen gegenüber. In der Mitte befindet sich die Spielbühne, angestrahlt durch kaltes Neonlicht, das auch die Stahlgitter am Boden durchleuchtet. In dieser Bunkeratmosphäre schließen sich hinter den Lehnen der Bankreihen noch zwei erhöhte Bühnen an. Die Musiker dahinter sind, mit Schlagzeug- und Percussions-Instrumentarium, nur teilweise sichtbar. Der Chor der Jungfrauen, hier von zwei Frauen und zwei Männern verkörpert, eröffnet als Menschen auf der Flucht mit Koffern das Geschehen. Immer wieder reihen sie sich in die Zuschauerbänke als Teile der Zivilbevölkerung ein. Gleich zu Beginn wird Eteokles Ansprache an die Bürger von der Decke durch Bildschirme ausgestrahlt. Gegen Ende strahlt nochmals ein Video den Tod der beiden Brüdern per Nachrichtensendung aus. Der Sprechchor ist in der Rezitation der Verse auf hohem Niveau und leistet Entsprechendes auch darstellerisch. Bisweilen tritt er aus der Vierstimmigkeit heraus, schwenkt somit den Blick auf das Dasein als Individuum. Angsterfüllt gebärden sie sich als Verzweifelte, die schreien, flehen, ihre Koffer als Bet-Teppiche benutzen, eine Lichterkette aufstellen und schließlich an die Wand rennen, bevor sie in ihrem Appell zur Mäßigung und Vernunft aufrufen. Umgekehrt beginnt Eteokles als Held in heroischer Haltung mit Bomberjacke und gewinnt auch in seiner Wandlung zum Fanatiker an darstellerischer Substanz. Nachdem er sich mit Blut beschmiert hat, nimmt der Fluch seinen Lauf. Die Botin des Krieges ist in ihrer Kampfuniform, ihren Gebärden und Posen, ganz die Soldatin des Irak-Krieges, wie sie aus Zeitungsbildern bekannt ist: Kämpferisch und stolz zu Beginn, doch gegen Ende ein gebrochener Mensch.

    Diese packende Inszenierung wird begleitet von der Musik des Komponisten Edgar Mann. Sie untermauert das Geschehen mit sphärischen Klängen, indem sie sich Sprechrhythmen annähert oder mit Flugzeugdonner schockiert. Ihr kommt auch, wenn Glockentöne die abgelaufene Stunde anzeigen, kommentierender Charakter ebenso zu wie sie Gegenentwürfe aufzeigt. Eine Musik für einen tragischen Ort, die so die Tragödie facettenreich zum Klingen bringt.
    (Birgit Hochmuth)


Südwest Presse, 13.05.2003
Dramatik im Bunker
Hart, laut, expressiv ist die Aalener Inszenierung der Aischylos-Tragödie „SIeben gegen Theben“, die auch groß mit Musik arbeitet. Sie hinterlässt gemischte Gefühle.

  • Die 2500 Jahre alte Tragödie "Sieben gegen Theben", die in der sagenhaften Geschichte der von göttlichem Fluch gebeutelten Labdakiden-Sippe zwischen dem Ödipus- und dem Antigone-Drama, steht, ist keineswegs antik in dem, was sie im Vordergrund zeigt: Krieg mit allen Schrecken und Begründungen, wie wir ihn vom Balkan und Nahen Osten kennen. Sogar das Bewusstsein, für die eigene Sache per direktem Draht mit göttlichen Instanzen zusammenzuarbeiten, ist im islamischen Terror mit seinen Selbstmord-Attentätern Gegenwart.

    Dieser Aktualität wegen hat das Theater der Stadt Aalen im Februar, als der Irak-Krieg drohte, kurzfristig Aischylos in der Neufassung von Durs Grünbein auf den Plan genommen. Als das Szenario um Eteokles' Verteidigung von Theben dann geprobt wurde, fielen auf Bagdad die Bomben. Nun sollte man meinen, eine solche Entscheidung beabsichtige eine mehr den Kopf fordernde Reflexion über den Krieg. Die Aalener aber wollen emotional packen. Drei Tage nach der Premiere stellen sie die für das kleine Theater recht aufwendige Produktion, bei der Ralf Siebelt Regie führte, im Rahmen der Theatertage im Ulmer Podium vor. Dort fanden sich die Besucher sozusagen als Bürger von Theben wieder, aufgereiht entlang der schwarzen Wände des Schutzbunkers in den sich die Menschen vor den heranstürmenden Truppen der Kämpfer um Polyneikes geflüchtet haben, der dem verhassten Bruder Eteokles die Herrschaft über die Vaterstadt entreißen will. Ein vierköpfiger Chor spricht für das Volk: Katja Gaudard, Anne Klöcker, Gunnar Kolb und Leif Stawski klammern sich mit weit aufgerissenen Augen aneinander, flehen schreiend zu den Göttern, trampeln hysterisch (später euphorisch) auf den Gitterrosten der Spielfläche auf und ab, malen (merkwürdigerweise) aus erhabener Warte die bevorstehenden Gräuel aus. Wobei man anerkennend sagen muss, dass der schöne Sprachklang und -rhytmus zur Geltung kommt.

    Alles ist drauf angelegt, dem Zuschauer das Entsetzliche des Krieges möglichst expressiv vorzuführen, Gefühle auszulösen, ja ihm mir unter weh zu tun. Als Eteokles, den Wenzel Banneyer als zielbewussten Demagogen gibt, begreift, dass er in den Tod gehen wird, entwickelt sich die Musik zu einem Getöse über die Ohrschmerzgrenze hinaus. Diese von zwei Percussionisten live gespielte Musik, für die Inszenierung von Edgar Mann komponiert, hat nicht geringen Anteil an der Absicht, Betroffenheit zu erzeugen.

    Dass es klappt, hörte man beim Publikumsgespräch nicht nur von einer Schülerin des Schubart-Gymnasiums Aalen, wo die Entstehung der Inszenierung begleitet wurde. Das Mädchen erzählte, sie habe die Bunkersituation echt empfunden, gehört. Jetzt schlagen die Bomben ein. Ein Besucher war voller Bewunderung darüber, dass die Angst so gut gespielt war, dass sie sich auf ihn übertragen hat. Kriegsgruseln im Theater, während gerade noch im Irak Menschen das Leid real aushalten mussten. Das kann nicht wünschenswert sein.
    (Petra Kollros)


Schwäbische Post, 10.05.2003
Die Angst pocht an die Bunkermauer
Beklemmende Premiere von Durs Grünbeins Aischylosbearbeitung "Sieben gegen Theben"

  • Des Frühlings blaues Band hängt an diesem Abend blutgetränkt in der stickigen Luft. Der Krieg nimmt keine Rücksichten auf Jahreszeiten; der Lenz birgt keine Garantie für Aufbruch. Nicht in der Wirklichkeit und deshalb auch nicht dort, wo "Sieben gegen Theben" ziehen. Auf der Theaterbühne im Wi.Z in Aalen. Das Aischylos-Stück als düstere Metapher des Irak-Konflikts.

    Den Schauspielern rinnt der Schweiß von der Stirn. Die Zuschauer schwitzen solidarisch mit. Sie sitzen sich in zwei langen Reihen zwischen mannshohen Podesten gegenüber - und mit denen, die einen fiktionalen Zustand bis zur Schmerzgrenze beschwören, in einem Boot. Auf Tauchstation gegangen in einem Bunker. Der Schutz bietet vor feindlicher Übermacht; aber zur Mausefalle, aus der es kein Entrinnen mehr gibt, werden kann, wenn die Türen dem Ansturm nicht standhalten.

    Andreas Ranks Bühnenbild, zu dem er von der einst als Ausweichsitz für die Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland errichteten "Dienststelle Marienthal" inspiriert worden ist, vermittelt eine düstere Ahnung vom Eingesperrtsein, von Hoffnung und Todesangst. Verstärkt wird dieser Effekt durch die perkussiv durch Bernd Brunk und Alfred Ruth erzeugten Geräusche und Klänge von Edgar Manns Bühnenmusik. Klingt das nicht wie die Schiffsschraube eines Zerstörers, der über dem U-Boot kreist? Wie das Zirpen des Echolots an der Wand des stählernen Sargs?

    Da verwundert es nicht, wenn der Chor, der gleichzeitig den Einwohnern Stimme verleiht, in Gestalt von Katja Gaudard, Anne Klöcker, Gunnar Kolb und Leif Stawski ziellos mit seinen Koffern durch den Raum irrt, von Todesfurcht gepeinigt zu den Göttern fleht - und dabei bravourös die ganzen Facetten an Emotionen offenlegt, die in diesem von Durs Grünbein neu bearbeiteten und von Regisseur Ralf Siebelt klug komprimierten Tragödientext von Aischylos verborgen sind.

    Wenzel Banneyer lässt als Herrscher Eteokles deutlich spüren, wie er selbst gegen die anstürmende Verzweiflung um Haltung kämpfen muss; dabei hat er alle Hände voll zu tun, sein Volk bei der Fahne und bei Verstand zu halten. Denn sein Späher (Ina Fritsche) ist selbst schon sprechender Ausdruck genug der schrecklichen Botschaften, die er überbringt. Die Sache geht dann gut aus für Theben, sieht man von der Tatsache ab, dass sich Eteokles und sein Bruder Polyneikes als Anführer des Feindes gegenseitig massakrieren und damit ihres Vaters, Oedipus, Fluch erfüllen.

    Das Volk indes bleibt ratlos zurück. Zu Beginn und am Ende wenden sich Führer und Bote per TV im nüchternen Nachrichtenstil ans Volk. Das Leben geht weiter - und der Krieg. Vermutlich. Ralf Siebelts Konzept, die Binnenschau des Krieges aus bürgerlicher Sicht anhand eines dramatisch virtuosen Textes fühlbar zu machen, erweist sich als schlüssig. Mit einer Einschränkung. In Aischylos Tragödie geschieht das Schreckliche schicksalhaft zwangsläufig. Während die Tore heute mit nüchternem Kalkül berannt werden. Es hätte ja auch Alternativen gegeben. Insoweit hinkt der Vergleich.

    Das aber ist vernachlässigbar angesichts der Tatsache, dass man als Zuschauer das blaue Band draußen wieder erhaschen kann. Die Warum-Frage allerdings hat diese Aufrührung fest im Gedächtnis implantiert.
    (Wolfgang Nussbaumer)


Aalener Nachrichten, 10.05.2003
Helden, die gar keine sind

  • "Sieben gegen Theben" ist das neue Werk des Theaters. Anlässlich des Krieges im Irak wurde das Stück eingeschoben. Am Donnerstag war die Premiere im Wirtschaftszentrum. Die stellenweise recht uneinheitliche Inszenierung nach der Vorlage von Durs Grünbein regt auf jeden Fall zum Nachdenken an.

    Wahrhaft alle Zuschauer der Inszenierung befanden sich im Bunker Thebens. Die Hitze in den Räumen des Wirtschaftszentrums war zum Zerreißen. Die patriotische Tragödie vom Bruderkampf, in dem Eteokles gegen Polyneikes antreten muss, um die Polis zu retten, wirkte zeitweise uneinheitlich.

    Die langgezogene Bühne im Format eines Ganges mit Gittern bestückt, das erdrückende Schwarz, wirkte sehr stimmungsgeladen. Musikalisch hatte der Aalener Komponist Edgar Mann eine sehr wuchtige und ausgezeichnete Umrahmung geschaffen. Die Arbeit für zwei Percussionisten zeichnete die Bilder der Emotionalität des Stückes wunderbar nach.

    Ein klein wenig mehr Aktion hätte nicht geschadet. Fast schon zu behutsam wurde der laute Streit und die Brutalität der Vorlage aus dem Weg geräumt.

    Die Hauptdarsteller wirkten zu einstudiert. So war sich mancher Zuschauer nicht sicher, ob die Tränen, die auf der Bühne flossen, von der Hitze stammten oder ob sie die Tragik des Stückes widerspiegelten. Der Chor wirkte ebenfalls teilweise aufgesetzt.

    Wenzel Banneyer ragte schauspielerisch heraus. Er verlieh seinem Eteokles den Mantel eines kalten Tyrannen, der von seiner Siegesgewissheit langsam ins Zweifeln kommt.

    Insgesamt steht fest, dass sich das Theater der Stadt Aalen an ein schwieriges Stück gewagt hat. Auf ganzer Linie hat es nicht gewonnen, jedoch fühlte man während der Premiere, dass viel Herzblut in dieser Inszenierung steckt. Ein Stück, das aufzurüttelt und Seiten des Krieges zeigt, die in Nachrichtensendungen oftmals nicht veröffentlicht werden. Kriegshelden, die keine sind. Verlust, Schmerz und das Gefühl der kalten Angst.
    (Stefanie Wagenblast)