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"Die Nullen bring ich hinter mich."
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BEDBOUND
von Enda Walsh

Aalener Nachrichten, 23.09.2002
"Bedbound": Ein starkes Stück Theater

  • Den Zuschauern geht es wie Maxie und seiner Tochter: Sie sind gefesselt an dieses Bett und an das, was sich darin abspielt, so abstoßend es auch sein mag. Sie sind "Bedbound". Das starke Stück Theater erntete bei der Premiere auf StockZwo frenetischen Applaus.

    Mit einer Sprache voller "Scheiße", "Fuck" und "Kotze" bombardiert "Bedbound" die Zuschauer, mit einer Geschichte aus der Unterschicht, mit zwei verstörten, verstörenden Figuren und doch - anspruchsvoll, vielschichtig und zutiefst menschlich ist das Stück des jungen irischen Autors Enda Walsh, zumal in der Inszenierung von Ralf Siebelt und gespielt von zwei beeindruckenden Schauspielern: Gunnar Kolb und Anne Klöcker.

    Es ist eng im Studio im Alten Rathaus. Nur rund 60 Leute passen in den Raum, dabei wären gerne mehr gekommen zur allerersten Premiere des neuen Ensembles beim Theater der Stadt. Wer eine Karte hat, schlängelt sich durch ein Labyrinth aus Wänden ins Studio. Da sitzt er dann einer Kiste gegenüber - die Bühne als Schachtel in der Theater-Schachtel. Andreas Rank hat die Ausstattung aus Sperrholz und weißen Farbrinnsalen übernommen. Klänge von Björk drängen sich immer lauter ins Bewusstsein, bis das Gemurmel unter den Zuschauern verebbt. Die Kiste klappt auf. Swusch.

    Es entfaltet sich ein Stück, das allen höchste Konzentration abverlangt, auch den Zuschauern. Vater und Tochter reden kaum miteinander, vielmehr treibt die Tochter ihn und sich zu Monologen an. Stoßweise spuckt Maxie so sein Leben aus: Wie er mit 15 den Job als Lagerarbeiter vergötterte, weil er für ihn das Tor war raus aus Enge und Armut, und wie er wusste: "Mein Gott, Cork, dich leg ich flach." Um zum Verkäufer aufzusteigen, ermordet er einen Kollegen, als er 23 ist, tanzt der Möbelladen nach seiner Pfeife, und weil er zur Verstärkung einen Sohn gebrauchen könnte, "spritzt er seine Ladung ab". Neun Monate später "rutscht das Baby raus": die Tochter.

    Sie sitzt auf dem Bett, ein Opfer der Kinderlähmung und ihres Vaters, der sie eingemauert hat in diesen Wänden direkt ums Bett herum. Auch wie es dazu kam, erzählt Maxie, und langsam offenbart sich, dass er und die Tochter im letzten Akt derselben Geschichte begriffen sind, die sie gerade so schmerzvoll aufrollen.

    Sie müssen schon oft versucht haben, sie zu Ende zu bringen: Die Tochter weiß um die Figuren aus Maxies Vergangenheit und übernimmt ihre Rollen. Dann wieder spricht sie von sich, von ihrer Panik vor der Scheiße, in die sie tatsächlich fiel und die hochkommt, sobald es still ist, weshalb sie das Schweigen mit Wörtern stopft, mit einem Kitschroman, den ihr die Mutter hinterließ, sogar mit der entsetzlichen Vergangenheit des Vaters.

    Gunnar Kolb verlangt die Rolle ab, was die Tochter vom Vater fordert: Loslassen soll er, alles rauslassen. Die Scham, aus der er seine Tochter einmauerte, legt er in diesen vier Wänden ab. Er schwitzt, er geifert, er schlägt, prahlt, droht, heult, das Gesicht verzerrt, Wahnsinn in den Augen, abstoßend, faszinierend und durch und durch überzeugend.

    Feinsinniger, doch ebenso intensiv spielt Anne Klöcker, ihre Ausdrucksstärke ist um so beeindruckender, als sie sich auf Oberkörper, Mimik und Stimme beschränken muss, mit diesen Mitteln aber glaubwürdig gleich mehrere Personen verkörpert.

    "Bedbound" reißt den Betrachter in seinem Sog mit fort, er entkommt ihm erst am Ende, gemeinsam mit den Figuren. Die Inszenierung zeigt: Das neue Ensemble führt sich mit Macht ein und mit Mut. Mit Theater nicht vom elitären Elfenbeinturm herab, sondern mit Theater auf derbem Boden. Der Qualität macht das überhaupt keinen Abbruch.
    (Sylvia Möcklin)


Schwäbische Post, 23.09.2002
Die Poesie im Sumpf des Bösen
Mit "Bedbound" des Iren Enda Walsh gibt das neue Team des Theaters der Stadt Aalen im Studio einen fulminanten Einstand

  • Ganz langsam, flehentlich hoffnungsvoll schiebt die Hand das Buch zum Vater hin. Das Märchenbuch mit der tröstenden Geschichte, auf die siesich immer wieder rettet im Meer der Trostlosigkeit, das einen Namen hat:den des Vaters. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können in diesem Moment der "Bedbound"-Premiere im Studio. Die Zeit hielt den Atem an. Großes Theater!

    Der Vater hat dann die Geschichte von Kati im Ballsaal gelesen. Nicht so fein, so zärtlich, wie es die Mutter in ihrer Erinnerung immer tat. Aber immerhin. Er ist zu ihr auf die Insel gekommen aus seiner brutalen Welt des hemmungslosen Raffens um jeden Preis. Risse zeigt der grobe Klotz, aus denen ein Hauch von Wärme dringt. Stille kehrt ein im Studio. Der Kopf der von Polio gelähmten Tochter sinkt an die massige Schulter, die sich zuvor nur als drohender Fels zeigte. Ein Moment des Friedens, ein Brückenschlag zwischen den beiden Menschen auf dem Bett.

    Dann schließt sich die Klappe wieder, die 75 Minuten zuvor wie ein Donnerschlag gefallen war. Und man weiß: die beiden werden auf diesem Bett, in diesem schmucklosen Raum, der mit seinen Färb- und Papierspuren auf den kahlen Holzwänden Aufbruch und Abbruch zugleich signalisiert, dieses Ritual noch oft spielen. Bis der Friede dauerhaft und der Panzer um die beschädigte Seele des brutalen Möbelhändlers Maxie endgültig gesprengt ist. Das gilt für die Geschichte in diesem packenden Stück des jungen Iren Enda Walsh, mit dem das neue Ensemble des Theaters der Stadt Aalen einen fulminanten Einstand gegeben hat. Und es gilt für Gunnar Kolb und Anne Klöcker, die mit solcher Intensität Vater und Tochter Sprache und Gestalt verliehen haben, dass das Premierenpublikum sie, Regisseur Ralf Siebelt und den Bühnenbilder Andreas Rank mit minutenlangen Ovationen gefeiert hat. Nach einem langen Moment ergriffenen Innehaltens.

    Für die Männerriege gab's aus der Hand des Stadtoberhaupts hoch verdienten Schampus und für die treffliche Frau Blumen. Sie hätte wohl gerne getauscht.

    Doch der Reihe nach. Erzählt wird die Geschichte von Maxie. Der sich mit ganzem Einsatz und mit jedem Mittel nach oben boxt, um dem kleinbürgerlichen Mief zu entfliehen. Der im Wortsinn über Leichen geht und seinen ganzen massigen Körper einsetzt, selbst als Lustobjekt. Gunnar Kolb lässt diesen fetten Fiesling durch den Raum torkeln, kriechen, stampfen und tänzeln, kotzt ungeheuerliche Sprache unter Augen heraus, in denen der Wahn flackert, dass man unwillkürlich an den großen Ulrich Wildgruber in Sean O'Caseys "Juno und der Pfau" erinnert wird. Eine Sprache wie die Gosse, aus der er kommt und die ihn beherrscht.

    Er erzählt diese, Geschichte vom Aufstieg und tiefen Fall des Möbelhändlers Maxie quasi in Rückblenden, wobei die gelähmte Tochter auf dem Bett den verbalen Part seiner Opfer spielt. Und ihre eigene Geschichte erzählt. Der ungewollten Tochter; die mit zehn aus einer durch die Mutter im Licht gehaltenen Welt in eine Güllegrube fällt und dadurch an Kinderlähmung erkrankt. Die mit ihrer Mutter vom Vater im Haus isoliert wird durch Trennwände, die er nachts errichtet. Bis sie allein ist, mit der tröstenden Geschichte von Katie, weil die Mutter stirbt. Und allein mit dem mörderischen Vater, der allein ist mit ihr.

    Ihre einzige Chance ist, dass sie diesen Panzer knackt; mit dem Mut der Verzweiflung. "Die Wörter stehen Schlange" in ihrem Kopf. Und Anne Klöcker würgt sie heraus aus diesem gelähmten Leib, dem ja nur die Sprache bleibt, dass sie sich ins Gedächtnis brennen. Sie setzt gegen das Übermaß des Häßlichen, gegen die Eruptionen des Ordinären, die Erinnerung an das Schöne; gegen den Sumpf des Bösen die Poesie. Die am Ende obsiegt. Im Dialog. Ein Etappensieg.

    Gunnar Kolbs Sakko, der sich um den dicken Leib spannt, glänzt am Ende so feucht vom Schweiß wie der Anzug, mit dem der 15-jährige Maxie als Lehrling ins Möbelhaus ging. Fiktion und Wirklichkeit innigst verzahnt. Das wird einem auch bewusst, als man am Ende und erlöst den Weg ins Freie sucht durch Andreas Ranks Labyrinth der Trennwände. Der Ort spielt mit. Wie damals vor elf Jahren, bei der ersten Premiere am Theater der Stadt Aalen, in Javier Tomeos "Mütter und Söhne". Auch damals ein Einstand nach Maß. Seit Samstagabend wissen wir, dass das neue Team um die Intendantin Simone Sterr ebenfalls für Großes befähigt ist. Für lebenspralles, ambitioniertes Theater für Kopf und Bauch. "Bedbound" - einfach fesselnd.
    (Wolfgang Nussbaumer)