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MAGAZIN DES GLÜCKS
von Dea Loher

Schwäbische Post, 25.10.2004
Das Glück, das kann man nicht kaufen
Ralf Siebelts sensible Inszenierung von Dea Lohers "Magazin des Glücks" im Studio

  • "Das Glück, das kann man nicht kaufen", verrät uns ein deutscher Schlagertext. Wer also auf den Rummelplatz geht, muss es schon dabei haben, sonst wird das nichts. Ähnlich geht es den Personen in Dea Lohers Szenen zu "Magazin des Glücks", von denen Ralf Siebelt für seine sensible Inszenierung am Theater der Stadt Aalen vier ganz unterschiedliche ausgewählt hat.
    Weil die Protagonisten das Glück nicht gepachtet haben, müssen sie es suchen. Das Glück. Aber was ist Glück? Ist es das Glück, vom Licht nicht ins ewige Dunkel gestürzt zu werden, wie die rechtschaffene Politikergattin, der das Licht physisch unerträglich wird. Aber fällt uns da nicht gleich der Topos vom "Licht der Öffentlichkeit" ein?

    Oder ist es die tiefe Befriedigung, immer pünktlich zu sein, wie der Pförtner, der sich darob für unersetzlich hält - bis er verpennt und am eigenen Angstszenario aberwitzig zerbricht. Ist sein Job futsch und damit die Existenz? Oder ist es Glück, seine von einer Gasexplosion verschütteten Angehörigen wiederzufinden, indem man sich auf der Müllkippe im Hausbauschutt gleich mitverschreddern lässt? Oder ist es das Höchste an Erfüllung, gemeinsam zu marschieren, gemeinsam zu sterben, das eigene Ich dem Kollektiv unterzuordnen, den Gehorsam über den Verstand zu stellen?

    In allen diesen sprachlich hochpoetischen Miniaturen der vielfach ausgezeichneten deutschen Dramatikerin über Bedingungen individuellen Glücks schwingt als Metaebene gesellschaftliche Metaphorik mit. Alle sind sie eingebunden in kollektive Mechanismen. Das private Glück scheint vom öffentlichen nicht trennbar zu sein.

    Insofern hat Dea Lohers Personal wohl ziemlich schlechte Karten; öffentliches Glück gibt es nicht, gemeinschaftlich erzeugte Unglücke schon eher. Den Blick auf diese Sicht der Dinge schärft Ralf Siebelt, indem er die Figuren im bunten Neonlichterschein auf einem Laufsteg agieren lässt. "Showtime" steht an den Glitter-Wänden, "Just for fun". Alles nur ein Spaß. Tatsächlich erleben sie auf dem von Andreas Rank entworfenen öffentlichen Rummelplatz ihr persönliches Waterloo. Siebelt zieht hier eine bemerkenswerte Parallele zum "Clavigo" im Wi.Z. Auch dort wird privates Schicksal zum öffentlichen Thema, ist untrennbar verknüpft mit gesellschaftlichen Bedingungen. Dea Lohers punktgenaues öffentliches Nachdenken ist bei den beiden vorzüglich artikulierenden Schauspielerinnen Katja Gaudard und Ina Fritsche in besten Händen. Das ist ebenso Gänsehaut schaffend, wie die Gaudard als Müllwerker abgründige Szenen evozierend vom suchenden Besuch einer Frau auf der Kippe erzählt, wie Ina Fritsches beklemmender, fast geflüsterter Bericht aus dem Innenleben eines aus der Bahn geworfenen Bankpförtners.

    Zusammen zeichnen sie ein anrührendes Porträt der von einer Lichtallergie gepeinigten Hannelore Kohl (reich an Zwischentönen Katja Gaudard). Ina Fritsche als kontrastierendes Go Go Girl wird dabei doch tatsächlich von einem trällernden Handy und dessen Besitzerin (die meinte wohl wirklich sie sei auf dem Rummel) aus der sprachlichen Bahn geworfen.

    Und zusammen absolvieren sie im Stil des Chors der griechischen Tragödie als 'universal soldiers' ihre Ausbildung, die mit dem letzten Marsch endet. "Vernünftig und nutzbringend wollte ich immer sein", skandieren sie in dieser, weil allzu plakativ und schrill, am wenigsten überzeugenden Szene. Gleichwohl entschlüsselt sich in diesem Satz die aus dem alle Miniaturen durchziehenden Myzel von diffusen Ängsten und Schuldgefühlen aufsteigende Botschaft Dea Lohers: Passt euch nicht an. Haltet dagegen und zu euch selbst. Dann klingt auch der von Edgar Mann pop-hymnisch vertonte "Future Song", der als roter Faden die Szenen verklammert, weniger endzeitlich-fatalistisch. Zum Schluss verteilt das Rummelplatzduo rote Luftballons. Auf denen steht "Catch the luck". Eine Schimäre, wie wir inzwischen wissen. Das Glück ist nicht zu fassen. Als gutes Theater schon. Ab ins Studio.
    (Wolfgang Nussbaumer)

Aalener Nachrichten, 25.10.2004
Das innere Auge sieht mit
Hoch konzentriertes Kammerspiel und luftig leichte Show kombiniert Regisseur Ralf Siebelt vom Theater der Stadt Aalen im "Magazin des Glücks". Die Inszenierung des Stückes von Dea Loher erntete bei der Premiere im Studio im Alten Rathaus stürmischen Applaus.

  • Vier von sieben Texten, die Dea Loher fürs "Magazin des Glücks" schrieb, hat Siebelt ausgewählt. Sie heißen "Licht", "Samurai", "Deponie" und "War Zone, Ausbildung oder Der letzte Marsch". Alle wären geeignet, dem Zuschauer den Magen umzudrehen - hätte der Regisseur sie nicht in Rummelplatz-Ambiente eingebettet. Und wie es auf dem Rummel so ist: So lange man zwischendurch Pause macht, Gute-Laune-Musik hört und bunte Lichter sieht, spürt man ganz gern, wie sich während der Fahrt der Magen hebt.

    Bunte Lichter sind das erste, was der Zuschauer bei der Premiere zu Gesicht bekommt. Blinkend beleuchten sie die Bühne, die Ausstatter Andreas Rank einem Laufsteg ähnlich gestaltet hat. Wie bei einer Modenschau haben die Besucher hüben und drüben Platz genommen und erwarten nun, dass ein Panoptikum des Unglücks, eine Sammlung von Geschichten über kuriose Versuche, es zu überwinden, an ihnen vorbeidefiliert.

    Die Models: Ina Fritsche und Katja Gaudard. In roten Perücken, silbernem Mini-Dress, pinken Leggins und blauen Cowboy-Boots stiefeln sie auf die Bühne, einer Mischung aus Billigrevuegirl und Commander Uhura von der Enterprise gleich. Das schrottige Outfit macht die Schauspielerinnen laut Siebelt zu Projektionsflächen, auf die jeder Zuschauer seine eigenen Vorstellungen von den Figuren projizieren kann, die sie nacheinander verkörpern. Was nur eingeschränkt funktioniert. Denn weiblich wirken die Kostüme allemal. Da sich Dea Lohers Geschichten aber erst allmählich erschließen, kann der Zuschauer lange Zeit Frauen als ihre Protagonisten vermuten. Was sich in drei Fällen als Irrtum erweist - aber damit greifen wir vor.

    Lichter aus, Spot an, Stille und Konzentration: Deutlich setzen sich die vier Szenen von ihrem bunten Rahmen ab. Vier Monologe sind es, schwindelerregend, aber nicht ohne Komik. In "Licht" spricht Katja Gaudard als Hannelore Kohl ein beklemmendes Psychogramm der lichtallergischen Politikergattin, die den "schönen Schein" nicht mehr erträgt. Ina Fritsche als "Schatten" befeuert sie derweil armschlenkernd mit der öffentlichen Meinung. In "Samurai" wird Ina Fritsche zum Pförtner, der auf hilflos-lächerliche Weise sein Verschlafen zu vertuschen sucht. In "Deponie" fesselt Katja Gaudard als Müllmann. "War Zone" schließlich führt Patriotismus und Feindbilder ad absurdum. Fritsche und Gaudard stellen zwei Rekruten dar, die ihr Ich fürs Wir des Militärs aufgeben. Die Umsetzung ist beeindruckend: Die beiden sprechen den Text synchron.

    Gemeinsam ist allen Figuren laut Siebelt die Suche nach dem Glück. Alle wollen den vermeintlichen Anforderungen in ihrem Bereich - denen der Gesellschaft oder des Arbeitgebers zum Beispiel - gerecht werden. Der Regisseur lakonisch: "Das klappt mal besser und mal schlechter."

    Großartiges leisten die Schauspielerinnen in ihren Rollen. Ausgenommen in "War Zone" bleibt ihre Körpersprache auf ein Mimimum beschränkt, sie konzentrieren sich fast ausschließlich auf die Sprache. Wie bei einem Hörspiel entfaltet sich die Handlung so mehr vor dem inneren Auge des Zuhörers als auf der Bühne. Zu Recht vertraut Siebelt allein auf die Wortgewalt von Dea Loher und die Ausdruckskraft der Darstellerinnen. Vor allem Katja Gaudard zieht den Zuhörer mühelos mit auf die "Deponie", dieser "Müllebene" mit "erdverschmierten Landschaften aus entzündeter Abfall-akne" und "methangetränkter Luft". Ina Fritsche hat es mit dem bewusst schleppend gehaltenen Monolog des Pförtners etwas schwerer.

    Von der Fahrt in den Abgrund erholt sich der Zuschauer nach jeder Szene mit dem Loher"schen "Futuresong", locker-flockig vertont von Edgar Mann. Die Sopranistin Tanja Gold singt ihn einmal vom Band, ansonsten übernehmen Gaudard und Fritsche diese Übung mit Mikro und Charme - hey, es ist alles nur Show. Luftballons verteilen sie am Ende, drauf steht "Catch the luck". Sich fragend, wie er selbst das wohl anstellen würde, geht der Zuschauer hinaus in die Nacht.
    (Sylvia Möcklin)