REISEN
DIE GROSSE ERZÄHLUNG
von Bruno Stori
Aalener Nachrichten, 19.4.2005
Schräger Odysseus erlebt Abenteuer
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Das gibt's selten. Theater, bei dem die Kinder vor Vergnügen
glucksen und die Erwachsenen auch. Bloß, weil Ralf Siebelt die Odyssee
erzählt. Mit Wenzel Banneyer als Regisseur ist aus der "Großen Erzählung"
von Bruno Stori im trauten Napoleonzimmer des Alten Rathauses ein wildes
Abenteuer geworden. Am Sonntag war Premiere.
Eine alte Geschichte ist das, so alt alt alt, dass es noch nicht einmal
das Jesuskind gab. Eine tolle Geschichte von Kriegern und Helden und
Frauen. Siebelt in der Rolle des Rico, eines einfältigen italienischen
Jungen, erzählt sie ganz neu, mit vielen "Bummmms" und "Aaaahs" und
"Pschschschs" und "Oooohs", mit einem gelben Regenmantel, der als Segel an
Odysseus' Schiff herhält, mit einem Regenschirm als Ruder und einem
Lutscher, den Rico sich vorn an die Mütze klebt. Das sieht dann aus wie
das Auge des Zyklopen.
Einen tollen Streich spielt das Theater der Stadt seinem Publikum mit
dieser kleinen, großen Inszenierung. Der Schauspieler steckt in der Rolle
des Regisseurs und der Regisseur in der des Schauspielers. Sie haben nur
ein Zimmer, um die ganze Weite des Meeres darzustellen, und nur einen Mann
für Odysseus' ganzes Universum.
Das hat Charme. Siebelt ist nicht nur Rico, der Junge, der am Bahnhof der
Geschichte eines alten Mannes gelauscht hat und sie nun weitererzählt. Er
spielt auch Odysseus und den Zyklopen und Aiolos, den Beherrscher der
Winde, und alle karikiert er, am schönsten die säuselnde Sirene. Die
Erwachsenen prusten über die schrägen Typen. Die Kinder kreischen über des
Zyklopen riesige Hand, die als Schatten an der Decke über sie kriecht.
Schattenspiel mit Taschenlampe oder Fingertheater mit Orangen, die
Parkbank als Schiff und der Lutscher-Stiel als Riesen-Pfahl – aus
einfachsten Mitteln entsteht größtes Vergnügen. Banneyer, ein
Regie-Talent. Dazu spielt Siebelt mit vollem Einsatz, er springt und
kämpft und schwitzt und erweckt eine Odyssee zum Leben, wie sie so wohl
noch keiner gehört hat, voller Freiheiten, auch von Storis Vorlage,
hopplahopp, so manches bleibt einfach weg, Odysseus' Ausflug ins Jenseits
etwa oder wie Penelope ihn wiedererkennt. Aber das macht nichts. Applaus.
(Sylvia Möcklin)
Schwäbische Post, 18.4.2005
Die Fantasie kennt keine Grenzen
Gestern hatte auf StockZwo "Die große Erzählung" Premiere - nicht nur für Kinder
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Das Theater der Stadt Aalen wagte ein besonderes Experiment: was würde geschehen, wenn ein Regisseur die Rolle spielt und ein Schauspieler das Stück inszeniert? Ralf Siebelt, eigentlich Hausregisseur am Theater der Stadt Aalen und der Schauspieler Wenzel Banneyer bewiesen gestern während der Premiere des Stücks "Die große Erzählung", dass für eine fesselnde Geschichte nicht viel mehr nötig ist, als ein toller Darsteller und wenige Requisiten.
Rico, gespielt von Ralf Siebelt, der liebenswerte Einfaltspinsel aus dem kleinen italienischen Ort Bagnacavallo, erzählt in nur einer Stunde seine ganz eigene Version der "Odyssee" des griechischen Dichters Homer. Rico verläßt zum ersten Mal in seinem Leben sein Dorf, um zwei geschenkte Papageien im Nachbarsdorf abzuholen. Trotz vielen Ermahnungen lauscht Rico, während er am Bahnhof auf seinen Zug nach Hause wartet, lieber der "großen Erzählung" eines alten Mannes, als den Bahnhofslautsprechern. So kommt, was kommen muss, und der faszinierte Rico verpasst seinen Zug. Und muss schließlich selbst eine abenteuerliche Irrfahrt zurück in seine Heimat antreten.
Diese Rahmenhandlung umschließt die eigentliche Geschichte im Stück, denn durch Rico erfahren die großen und kleinen Zuschauer von den Abenteuern des Odysseus. Sein langer Weg nach Hause dauert über mehrere Jahrzehnte, in denen der Held und seine Gefolgschaft auf die Probe gestellt werden, und Hindernisse mit Mut und Einfallsreichtum überwinden müssen. Rico, der "Dorftrottel" erzählt spannend, in seiner ihm eigenen Sprache und unter Einsatz seines ganzen Körpers. Er schlüpft alleine in alle Rollen der "Odyssee" und ist zugleich komisch und authentisch, so dass selbst die Kleinsten diesen komplexen Mythos nicht nur verstehen, sondern auch großen Spaß daran haben. Bruno Storis Stück richtet sich an Kinder ab fünf Jahren, und zeigt, dass eine einfache Bank, oder ein Schirm viel mehr sein können, als "nur" eine Sitzgelegenheit, oder ein Gegenstand, der vor Regen schützt. Sie können ein Schiff sein, eine Höhle, ein Segel, oder ein Schwert, die Fantasie kennt keine Grenzen. Und eine wahrhaft große Geschichte wie die "Odyssee" braucht kein aufwendiges Bühnenbild oder unzählige Schauspieler. Ein Mann (Ralf Siebelt), eine Bank und eine Taschenlampe reichen völlig aus, den Rest erledigt die kindliche Vorstellungskraft. Funktioniert übrigens erstaunlich gut auch bei Erwachsenen.
(Andrea Kombartzky)
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