zurück

DURCHHALTEN
Foto Nur für Erwachsene
info | fotos | presse

NUR FÜR ERWACHSENE
von George F. Walker

Schwäbische Post, 28.2.2005
Es war schon gut vor dem Ende
"Nur für Erwachsene" als hinreißend sarkastisches "Road-Movie" inszeniert

  • Ein abgefahrener Südstaatenblues spült über die Köpfe - über das schmutzige Weiß der Hotelzimmerbühne flimmern Zeichentrickfiguren, Gesichter, ein Highway, ein Motel, ein Zimmer. Am Ende des Vorspanns sind wir angekommen in der Wirklichkeit von Max und Jayne, die gerade beim Vorspiel sind. Von daher geht's bergab für das Personal in George F. Walkers krasser Cop-Story. Dass man den Höllenritt im Theater im Wi.Z mit größtem Vergnügen genießt, ist der kongenialen Verbindung von Regie und Trickfilm, animiertem Bühnenbild und einem glänzend aufgelegten Darstellerquartett zu danken.
    Es sieht nicht gut aus mit Max. In seinem fetten Polizistenbauch klafft eine tiefe Wunde, er blutet wie ein Schwein. Sein Erscheinen im schäbigen Motelzimmer hat die Wirkung eines Pferdetritts in den Ameisenhaufen. Emsigstes Treiben. Sein dauerbesoffener Partner Donny wird schlagartig nüchtern; dessen angefressene Frau Pam, die von Donnys Eskapaden mit Schnaps und Huren schon lange die Schnauze voll hat, muss bei dem Anblick kotzen - und Jayne macht mit Nadel und Faden am Bauch ihres Lovers ihre ersten chirurgischen Fingerübungen. Der Deal ist gründlich schief gelaufen.
    Die Geschichte, die der Kanadier George F. Walker lapidar und sozusagen ohne Punkt und Komma in einem atemlosen Rhythmus erzählt, handelt von der Anwältin Jayne, die einer angeklagten Mandantin dadurch helfen möchte, dass deren Mann die Schuld auf sich nimmt. Ein ziemlich schlimmer Finger; im Jargon der Cops Max und Donny, die den Jungen von seiner Missetat überzeugen sollen, "ein Stück Scheiße". Ob Jayne deshalb mit Max ins Bett gestiegen ist, oder weil sie ihn tatsächlich mag?
    Gleich am Anfang sagt Jayne den entscheidenden Satz: "Es war besser, als es zu Ende war". Verlierer sind sie alle. Sie haben aufgegeben - und versuchen doch noch verzweifelt einen Zipfel von der Selbstachtung zu krallen, die sie einst mal hatten. Ihre Sprachlosigkeit äußert sich in diffusen Halbsätzen. Konkret sind Sex und Gewalt, der nackte Überlebenskampf. Aber daneben fügen sich die Zwischentöne zu einem rasanten Requiem, das einen an den falschen Stellen lachen macht und an den lächerlichen zu Tränen rührt.
    Nichts ist im Lot. Wie in Max Julian Ottos Bühnenbild. Kein rechter Winkel, nur schräge Ebenen; alle sind sie auf der schiefen Bahn. Auf Bett und Tapete breiten sich Video-Blutflecken aus wie im James Bond-Intro. Die Optik spiegelt die Sprache, die sich anhört, als ob der Krimihardliner James Hadley Chase das Drehbuch für eine abgefuckte Ode von Charles Bukowski geschrieben hätte - und heraus kommt Tarantino.
    Ina Fritsche als toughe Anwältin Jayne, Gunnar Kolb als total eindimensionaler Cop Max ("Ich hab' nie mehr als einen Gedanken gleichzeitig"), Leif Stawski als dessen völlig kaputter Partner Donny (wie der voll von Wodka über die schiefe Ebene taumelt!!) und Anne Klöcker als einsam in der Amoralität funzelnder Leuchtturm des Restanstands - sie treffen in der Premiere rasch diesen lapidaren, beiseite gesprochenen Ton, diese rotzige Intensität weitab von der Bühnentheatralik, die der Tod dieses banalen Slangs wäre.
    Und so blitzen in diesem zynischen Gestammel, in den kruden Zoten, zwischen verschwitztem Sex und den Kugeln im Kopf plötzlich Wahr-Worte auf. Eine zugegeben schrille Allegorie des ganz normalen Alltags, in dem man lügt und betrügt, Finanzamt und Partner(in), Männer ihre Frauen schlagen und unter vielen Oberflächen das ratlose Entsetzen wie ein Krebsgeschwür keimt.
    "Ich liebe dich, Jayne", sagt am Ende Max, und sie antwortet geistesabwesend: "Ja. Ich dich auch." Eigentlich würden sie es ja gerne können. Aber sie haben schon lange aufgegeben. Abspann, mit dreckigem Bluesrock und Ottos Cartoon-Figuren. Alles nur Kino, alles nur (Pulp)Fiktion. Ralf Siebelt und Max Julian Otto haben ein grandioses Road-Movie gestrickt, das nur einen Schönheitsfehler hat: die 100 Minuten gehen viel zu schnell vorbei.
    (Wolfgang Nussbaumer)

Aalener Nachrichten, 28.2.2005
Irrealer American Dream ist spannend inszeniert

  • Mit einem trefflich inszenierten Bühnenstück hat das Aalener Stadttheater aufgewartet. George F. Walkers "Nur für Erwachsene" geriert sich als Pulp Fiction Krimi, der fast zwei Stunden lang spannende Unterhaltung liefert und unterschwellige Gesellschaftskritik transportiert. Auf der Theaterbühne im Wi.Z war erfolgreiche Premiere.
    Zweimal sollte man hinhören, bevor man mitlacht, ist doch das Geschehen nur vordergründig komisch. Im Kern kommentiert Ralf Siebelts Inszenierung gelungen ein Stückchen American Dream. Nur wenig Kulisse braucht der Regisseur dazu: Auf der Bühne sind lediglich Schlafzimmer und Bad zu sehen - eine Absteige des White Trash für schnellen Sex und dunkle Geschäfte.
    Walkers Geschichte beginnt mit einer Bettszene. Max trifft sich mit Jayne, beide scheinen nur oberflächlichen Sex im Sinn zu haben, in Wirklichkeit geht es freilich um mehr. Es geht um jene kleine Gefälligkeiten, die jedes Rechtssystem aushöhlen und die dennoch für sie wie selbstverständlich dazugehören.
    Max, der Cop, fahndet nach dem Aufenthaltsort eines Gesuchten, vermutet, dass Jayne ihn kennt, und die Anwältin ihrerseits braucht ein falsches Geständnis, um einer Mandantin helfen zu können. Beauftragt mit der Suche wird Max' Partner Donny. Dieser vermasselt aber die Sache gründlich, und am Ende liegt Max blutend am Boden. Langeweile steht nicht auf dem Spielplan, denn was die smarte Anwältin Jayne, den Detective Max Malone, dessen Partner Donny und seine Frau Pam bei Walkers Stück erwartet, ist mehr als aufreibend.
    Max (Gunnar Kolb) und Donny (Leif Stawski) sind zwei abgerutschte korrupte Cops. Der eine kämpft vorgeblich für Recht und Ordnung, ist aber schnell bereit, für seine Zwecke unlautere Mittel einzusetzen, der andere ist heimisch im Rotlichtmilieu, selbstzerstörerisch, den Drogen, dem Suff und dem Spiel verfallen, und hat bereits seine "killing fields", auf denen er um die Ecke gebrachte Kriminelle entsorgt. Jayne (Ina Fritsche), die Anwältin, ist Teil des korrupten Systems, zeigt in Ansätzen zwar Skrupel, setzt aber dennoch ebenfalls illegale Methoden ein. Pam (Anne Klöcker) hält als einzige die Fahne der Moral hoch, doch als der korrupte Sumpf offenbar und sie mit hineingezogen wird, resigniert sie.
    Walker führt seine Figuren überlegt vor, verpasst ihnen platte Dialoge, hinter denen sich die wahre Gefühlswelt der Protagonisten erspüren lässt. Von Szene zu Szene bröckelt die Fassade, ein Abgrund öffnet sich. Desillusionierte, wie Schablonen wirkende Menschen werden sichtbar, voller Sehnsüchte, Hoffnungen und Ängste, die instinktiv um ihre Ausweglosigkeit wissen.
    Ein irreales Spiel, nicht zuletzt durch eine ebensolche Bühnengeometrie verdeutlicht, und das durch Max Julian Otts Comic-Clips eine zweite Ebene erfährt. Im Zeichentrickformat lässt Siebelt sein Schauspielerquartett sich parallel zum Geschehen auf der Bühne spiegeln, intensiviert Momente und Situationen, setzt Szenen fort und gibt dem unheilvollen Verlauf eine zusätzliche Dynamik. Da bleibt kein Platz für Gefühle.
    "Nur für Erwachsene" muss enden, wie es begonnen hat. Die Ästhetik des Stückes kolportiert vor allem in ihrer Diktion schon im Voraus jegliche Hoffnung auf ein Happy End, auch wenn Max ein letztes Mal "Ich liebe dich, Jayne" sagt. Tränen müssen freilich nicht sein, denn auch im Abspann macht Ott mit seinen Cartoons klar: alles nur Film.
    (Herbert Kullmann)