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DIE EISVÖGEL (UA)
von Tine Rahel Völcker

Heidenheimer Zeitung, 29.12.2004
Eva, Karl und Josi frieren gemeinsam
Die erst 25-jährige Berliner Nachwuchsdramatikerin Tine Rahel Völcker hat einen Volltreffer gelandet

  • Das Theater der Stadt Aalen hat sich mittlerweile einen sehr guten Ruf erarbeitet, der sich unter anderm in lobenden Kritiken in renommierten Zeitschriften wie "Theater der Zeit" niederschlug. Insbesondere um die jungen zeitgenössischen Autoren haben sich die Aalener gekümmert. Das aktuelle Stück "Die Eisvögel" feierte im Theater im alten Rathaus sogar seine Uraufführung. Geschrieben hat es die erst 25-jährige Berlinerin Tine Rahel Völcker.
    "Zu viele Köche verderben den Brei" heißt das Sprichwort, das unter keinen Umständen für die gemeinschaftliche Inszenierung des Stücks "Die Eisvögel" gelten kann, an der Regisseur Ralf Siebelt, Intendantin Simone Sterr und Dramaturg Winfried Tobias gleichermaßen beteiligt sind. Der Text von Tine Rahel Völcker entpuppt sich als ein präzise formuliertes Gebilde aus kurzen Sätzen. Auch das Personal des Stücks ist sehr reduziert. Drei Figuren in einem Haus, das von der Bühnenbildnerin Olga von Wahl mit spartanischen Mitteln gestaltet wurde.
    Gleiches lässt sich auch von der Handlung des Stückes sagen. Karl (gespielt von Leif Stawski), 40 Jahre alt, kann gerade noch den Selbstmord der 23-jährigen Josi (Ina Fritsche) verhindern. Er nimmt sie mit nach Hause. Dort wartet die 33-jährige Ehefrau Eva (Anne Klöcker). Es dauert nicht lange, bis sich Karl mehr zur blonden Josi als zu seiner schwarzhaarigen Gattin hingezogen fühlt. Am Anfang ist der Zuschauer versucht, die eigentlich Leidende in der Person von Josi, der verhinderten Selbstmörderin, auszumachen. Dann verschiebt sich der Blickpunkt auf die Ehefrau, vor allem deshalb, weil Anne Klöcker der Verfall ihrer Figur von der scheinbar toleranten zur eifersuchtszerfressenen und schließlich böswilligen Gattin, hervorragend gelungen ist.
    Auch wer kein Liebhaber von Beziehungsdramen ist, gerät langsam in den Bann dieser Inszenierung, bei der die Spannungsschraube kontinuierlich angezogen wird. Die drei Schauspieler geben sich zudem solche Mühe, tiefgefroren zu agieren, dass man Fingernägel kauend auf jeden Fall wissen will, wer am Ende wen erschlägt.
    Tine Rahel Völckers Stück "Die Eisvögel" hinterlässt einen starken Eindruck. "Wie ist das gemacht?", möchte man da fragen. Zunächst einmal verwendet die Autorin äußerst kurze Sätze und erzeugt damit eine von den drei Regisseuren gut umgesetzte Geschwindigkeit. Das tut der Spannung gut und verhindert das Einschlafen schon einmal von vornherein.
    Inhaltlich betrachtet sind die Sätze der Autorin so belanglos wie die Ehe zwischen Karl und Eva. Aber die Dramatikerin versteht etwas von Form und Arrangement, sie weiß, dass der Text mehr ist als sein Inhalt. Sodass man versucht ist, bei den "Eisvögeln" von einer eher musikalischen Anordnung zu sprechen denn von einer, die einen bestimmten Inhalt transportieren will. Es ist jedenfalls ein großes Vergnügen, den Schauspielern in dieser Melodie zu folgen.
    Eine Merkwürdigkeit im Stück ist der berühmte Brecht'sche Verfremdungseffekt, mit dem jeder in der Schule schon einmal traktiert wurde. Von Zeit zu Zeit treten die Schauspieler nämlich aus ihrer Rolle heraus und wenden sich mit kurzen Statements ans Publikum. In diesen Einschüben verfügen die Figuren über ein Wissen, das sie im Stück nicht haben, in dessen Beziehungsstrudel sie sich bewusstlos bewegen. Von diesem Widerspruch abgesehen, gibt es auch hier stark rhythmisierte Sätze von großer poetischer Kraft. Fazit: gute Schauspieler, gute Inszenierung, gutes Stück.
    (Holger Scheerer)

Schwäbische Post, 20.12.2004
Dieser Vorschlaghammer bricht kein Eis
Tine Rahel Völckers Beziehungsstück "Die Eisvögel" erweist sich in der Uraufführungsinszenierung als ziemlich sprödes Teil

  • "So, wir verbringen jetzt einen schönen Abend miteinander", schreibt Klaus mit rotem Stift auf die Fensterscheibe. Das ist dekorativ - und die pure Ironie. In mehrfacher Hinsicht. Die unterkühlte Beziehungskistenanalyse von Tine Rahel Völcker ist weder schön für ihr Personal noch in der Uraufführungsinszenierung im Studio des Theaters der Stadt Aalen sonderlich unterhaltsam. Was nicht an dem spielenden Trio liegt, das sich mit ganzer Kraft in die Figuren reinhängt.

    Die erst 25jährige Autorin Tine Rahel Völcker hat sich mit ihrem zweiten Stück, das jetzt auf Bühnentauglichkeit geprüft wurde, auf dünnes Eis gewagt. An dem Thema haben sich schon viele abgearbeitet. Mann mit und zwischen zwei Frauen. Der Stoff, der für Tragödien ebenso viel hergibt wie für Komödien. Er kann im Mord ebenso enden wie in krachlederner Versöhnung. Weil die Liebe bekanntlich nimmer aufhöret, kann man ihr immer wieder Aspekte abgewinnen - und wenn es die immer gleichen sind, bei denen nur die äußeren Umstände neu definiert werden. Womit wir bei Völckers Ansatz wären. Karl, 40, Filmkomponist, Eva, 33, durchgestylte Medienfrau mit Affinität zur Kunst, Vertreter des schnellen urbanen Lebens mit Haus im Grünen. Abgenutzte Beziehung, Schein und Wirklichkeit driften auseinander. Geborgenheit weicht der Entfremdung. Wie könnten die Szenen einer Ehe in der Sicht der Autorin aussehen? Eine Laborsituation, in der untersucht wird, wie die oben beschriebenen Symptome einer Paarbeziehung virulent werden, indem man als Katalysator eine dritte Person hinzufügt; jung, weiblich, völlig anders gestrickt; nicht festgelegt, nach allen Seiten offen - aber im Kern unveränderbar. Je nachdem, wie man die drei zusammenmengt, ändern sich die Aggregatzustände, gibt es unterschiedliche Reaktionen. Tine Rahel Völcker montiert das nahezu drehbuchartig in rasch wechselnden Szenen, konfrontiert entsprechend hart symbolträchtig aufgeladene innere Monologe mit platten Kurzdialogen. Wechselweise dürfen sich die Protagonisten mit ihren Obsessionen und Wünschen outen. Olga von Walch hat den dreien dazu ein klinisch reines und von rechten Winkeln geprägtes Laborhaus gebaut, dessen drei Räume völlig transparent sind. Hier kann sich keiner zurückziehen. Denn auch das für die Fenster verwendete Spezialglas, das die Konturen nur etwas verfremdet, gibt keinen Schutz. Verzerrt sie höchstens zur Kenntlichkeit. Könnte.
    Tatsächlich entwickeln sich die Figuren aber nicht. Von Anfang an ist klar, dass Karl bei seiner Eva bleiben wird, als er aus dem Wald das Mädchen Josi mitbringt. Ritterlich vor dem Freitod im eisigen See bewahrt. Das verpflichtet. Ihr Schnaps einzuschenken - und seiner Eva keinen. Das fault die an, und ihm stinkt das, weil er doch edel ist. Und nach einer halben Stunde, in der ein Wort das andere gibt, und man nichts wirklich Neues erfahren hat und man sich fragt, warum um alles in der Welt die Olga von Walch nicht die biedere Eichenvertäfelung im Raum abgehängt hat, die ihren transparenten Reagenzglaskubus konterkariert, lebt sich der Karl endlich mit der Josi aus. Züchtig unter der Decke allerdings - in einem Stück, in dem doch der ganze Beziehungsschrott wie mit dem Seziermesser so scharf bloßgelegt werden will. Dafür setzt urplötzlich Musik ein. So lendenlahm der Realismus, so überfrachtet das Spiel mit den Symbolen. Das dunkle Holz nämlich soll die heile Natur, den Wald verkörpern. Wo jedoch nicht das Heil, sondern Tod und Missbrauch winken (könnten).
    Mit kräftigen Strichen hat das Leitungsteam des Theaters, das gemeinsam die Verantwortung für diese Uraufführung übernimmt, den Eisvögeln noch ein wenig Flügel gemacht. Gestrichen viel Gesülze und dem Publikum den nackten Wahnsinn der abschließenden absurden Paare-Jagd durch die Hütte mit finaler Hammerorgie von Josi am Kücheninventar erspart. Stattdessen dringt noch ein wenig von Eddy Cichosz generierte Lautmalerei aus dem Off. Spröde, wie das Eis, von dem immer die Rede war.
    An Ina Fritsche, die ihre Josi beeindruckend konsequent als indifferent-flatterhaften Spuk aus dem Nichts durchzog, lag es ebenso wenig wie an Anne Klöcker, dass dieser unentschlossene Laborversuch als Verpuffung endet. Die attraktive Rotblonde hat unter Evas schwarzem Pagenschnitt Ängste, Sehnsüchte, Lieben und Leiden einer Yuppie-Frau authentisch fühlbar gemacht. Zwischen zwei so starken Frauen sieht man als Mann zwangsläufig alt aus. Leif Stawskis eindimensionaler Klaus trug's mit Fassung. Kurz vor Schluss legt Tine Rahel Völcker Eva jenen nachtdunklen Satz in den Mund: "Es ist spät. Mein Körper schreit nach Ruhe. Ich weiß nicht, warum er das tut." Das ist genau das Problem.
    (Wolfgang Nussbaumer)

Aalener Nachrichten, 20.12.2004
Großes Theater: Drei Menschen erstarren im Eis ihrer Gefühle
Uraufführung

  • Frostige Atmosphäre allerorten. Am Samstag ist es im ausverkauften Studio des Aalener Alten Rathauses zur Uraufführung von Tine Rahel Völckers "Die Eisvögel" gekommen. Für die Inszenierung dieses neuesten Stücks der jungen Berliner Autorin zeichneten Ralf Siebelt, Simone Sterr und Winfried Tobias vom Theater der Stadt Aalen verantwortlich.
    Dicke warme Jacke, Wollmütze und Schal – so gewandet trat Karl, einer der Hauptprotagonisten der "Eisvögel", dem ins kleine Studio gepilgerten Publikum gegenüber. Er kommt von draußen, von einer frostigen einsamen Umgebung mit zugefrorenem See. Mit sich bringt er die labile, scheinbar selbstmordgefährdete, junge Josi. Zur Erholung soll sie für einige Zeit im schicken Haus des Filmkomponisten Karl und seiner ebenso schicken Partnerin Eva bleiben.
    Im Folgenden entwickelt sich eine Abfolge rasch wechselnder Szenen eskalierenden Misstrauens, persönlicher Gefühlsauslotungen, frustrierender Einsichten in erstarrte Gefühle und der Unmöglichkeit erkaltete Emotionen zu revitalisieren. Im Zentrum steht das schier unlösbare Problem wieder ein "echtes", unvermitteltes Leben mit echten Gefühlen und direktem Zugang zum jeweiligen Gegenüber zu führen. Selbst als es zwischen Karl und Josi zum erotischen Abenteuer kommt, bleibt dies eine rauschhafte, von Alkohol und Musik beförderte Episode; gefolgt vom erneuten Zurücksinken in das In-Sich-Gefangensein permanenter Selbstreflektion und egozentrischer Nabelschau. Worte sind in diesem Zusammenhang wenig mehr als Hülsen und dürre Phrasen.
    Wir ahnen es: die frostige Umgebung, das kalte Designer-Ambiente des Hauses, der vor der Haustür liegende zugefrorene See, haben symbolischen, komplementären Charakter zu den Befindlichkeiten der Protagonisten. Ralf Siebelt, Simone Sterr und Winfried Tobias setzten diese Szenerie mit sparsamen und doch einprägsamen Mitteln im räumlich beschränkten Ambiente des Studios zielgenau und gelungen um.
    Leif Stawskis (Karl), Ina Fritsches (Josi) und Anne Klöckers (Eva) Spiel der egozentrischen Ausbrüche, überbetonten inneren Monologe und des Paradoxes der wortgewaltigen Sprachlosigkeit ist nahezu tadellos; hervorragend die wohldosierte Hilflosigkeit ihrer Gestik und Körpersprache. Allein ein manchmal ungenaues Timing und die verschenkte Möglichkeit, die mangelnde wahrhafte Interaktion durch ein noch mehr akzentuiertes Ausspielen der Sprechpausen besser herauszuarbeiten, sind zu bemängeln. Doch diese Premierendefekte lassen sich rasch beheben.
    Besonderes Verdienst der Aalener Inszenierung ist die kongeniale Übertragung der gleichsam filmischen Erzählweise der Autorin. Modernes Zeit- und Lebensgefühl provozieren eine Metamorphose der alten Ordnung der Akte und Szenen in ein fast fließendes Nacheinander fragmentarischer Auf- und Abtritte der Protagonisten. Filmischer Montage- und Schnitttechnik ähnlich wurden Szenenwechsel lediglich durch Licht- und Positionswechsel der Akteure angedeutet.
    Apropos Aktualität. Zeitnahe Kunst bildet Ausschnitte aktueller Befindlichkeiten und Atmosphären ab. So mag es uns postmoderne deutsche Zeitgenossen frösteln, uns in dieser Zwangsjacke emotionaler Vereinsamung, Sprachlosigkeit und Kommunikationsdefizite zu sehen. Besaßen die einschlägigen Kammer- und Psychospiele eines Schnitzler oder Tschechow – und Völckers "Eisvögel" besitzt durchaus motivische Anklänge an diese Altmeister – noch die Möglichkeit des Eskapismus in Melancholie, in selbst genügender Eleganz und Ironie, scheinen wir heute in der bleiernen Schwere des permanenten Selbstzweifels verloren. Fröhlichkeit, Ironie und Humor scheinen im ewigen Eis nicht mehr möglich. Vielleicht ist es gerade das, was den nordischen Menschen in den Süden treibt – oder auf den Weihnachtsmarkt.
    (Thomas Freller)