zurück

Weg aus der Heimat, um woanders ein besseres, sichereres Leben zu finden.
Foto Zuhause

info | fotos | presse

ZU HAUSE
von Silke Dangelmaier mit jugendlichen Flüchtlingen

Schwäbische Post 10.3.2004
"Ja, das haben wir so erlebt"
Flüchtlingsmädchen spielen "Zu Hause" in der Aalener Uhland-Realschule

  • Ein wenig Staunen über die Realität, viel Bewunderung für den Mut. Das Flüchtlingsstück "Zu Hause" lässt auch die nicht kalt, für die es gedacht ist: Schüler. Bereits zum zweiten Mal spielten die sechs Darstellerinnen des Dokumentarstückes vor einer aufgeweckten Schar Gleichaltriger. Diesmal vor rund 50 Achtklässlern der Uhland-Realschule.

    "Hoffentlich lachen die nicht." Schabnam hat vor der Aufführung neben ihrer Aufregung noch Zeit für ihre Angst. Angst, dass die Schüler über das Deutsch der Flüchtlingsmädchen lachen. Das letzte Mal in der Talschule ist das nicht passiert. "Die waren voll nett", meint die junge Frau aus Afghanistan. Doch diesmal kann es ja anders sein. Deshalb beschwört die Regisseurin Silke Dangelmaier die Mädchen hinter der Bühne ganz leise noch einmal: "Egal, was passiert, ihr spielt gut, ihr seid gut." Dann stürmen die Schüler den Saal. Auch diesmal funktioniert "Zu Hause". Die meisten Zuschauer verfolgen mit konzentrierten Mienen das Stück. Nur ab und zu raschelt ein Bonbonpapier, flüstert ein Schüler mit seinem Nachbarn, signalisiert ihm ungläubiges Staunen. Die Geräuschkulisse ist gering angesichts der Tatsache, dass sich die Schüler ja mit einem harten Stoff beschäftigen sollen: Den Schicksalen von sechs Flüchtlingsmädchen aus Afghanistan, dem Irak und Vietnam in Interviews, Gedichte, Szenen (wir berichteten).

    Als sich Schabnam, Freschta, Hong, Tuyet, Hanin und Nour verbeugen, applaudieren alle. Dann organisiert Silke Dangelmaier eine Aktion, um die Schüler auf das Gespräch einzustimmen. "Sonst ist die Diskussion oft lahm", sagt sie. Schnell teilt die Pädagogin des Aalener Theaters fünf Gruppen ein; dann haben alle Zeit sich ein Wort zum Thema "Heimat" auszudenken. Nach fünf Minuten geht es auf die Bühne. "Ihr habt jetzt jeder einen kleinen Auftritt", treibt sie die Schüler an: "Verbeugen, Klatschen, die nächsten". Schlag auf Schlag ist jeder einzelne dran: "Liebe", "Geborgenheit", "Familie" werden am häufigsten genannt. Nur zwei Schüler kassieren Lacher. Für "Sex" und "Orgasmus". Dann die Diskussion: "Was denkt ihr, gibt es für Gründe aus der Heimat zu fliehen?" will Silke Dangelmaier wissen. "Krieg", "Hunger", lautet die Antwort aus den Reihen der Schüler. "Wie ging es euch bei der Szene, als Freschta und Schabnam nicht einmal allein zum Arzt durften?" hakt sie nach. "Man merkt den Unterschied, wie frei wir leben, und die werden unterdrückt", meint die 14-jährige Annette. "Ich habe mich schlecht gefühlt, dass ist hart", bekennt der gleichaltrige Bahar. "Warum musstet ihr bei der Sozialamtszene lachen?", bohrt die Theaterpädagogin weiter. "Weil die wirklich so unfreundlich sind", "Übertrieben!", "Nein", "Ja", "Ist auf jedem Sozialamt anders". Kontrovers geht es durch die Runde. Aber auch die Schüler fragen. Ob es Überwindung koste, auf der Bühne zu stehen. Wie man sich fühle, wenn man sein Leben so "daherspiele". Ob die Schauspielerinnen tatsächlich alles so erlebt hätten. "Ja, das haben wir so erlebt", antwortet Schabnam. "Nein, keine Überwindung", schüttelt Tuyet den Kopf.

    Dann geht es um die Sprache. Als die Schüler hören, dass die Mädchen erst zwei Jahre da sind, staunen sie. Extra-Applaus für die Deutschkenntnisse. Dadurch ermutigt, nimmt Hong Anlauf, und will wissen, ob das Stück gefallen hat. "Professionell", "Super", "Ich finde das mutig von jeder", lauten die Antworten. Und Mut, den brauchen die sechs Mädchen auf jeden Fall.
    (Dagmar Oltersforf)


Aalener Nachrichten, 16.02.2004
Zu Hause" mit Ungewissheit und Sehnsucht nach Heimat

  • Still ist es im Alten Rathaus, als Freschta und Schabnam Ahmadi auf der Bühne stehen. Sie berichten von ihrem zu Hause, Afghanistan. Auch Hanin und Nour Alaa Kasem aus dem Irak sowie Tuyet Tran und Le-Thi-Hong aus dem Vietnam schildern die grausame Wahrheit über Kriege und Vergeltung, die sich in ihren Heimatländern ereigneten.

    "Zu Hause" heißt das persönliche Dokumentarstück, das die 14- bis 16-jährigen Mädchen unter der Regie der Theaterpädagogin Silke Dangelmaier dem Publikum präsentierten. Videosequenzen, kurzes Schauspiel und Gedichte wechseln sich dabei ab. An acht Schulen soll es nun aufgeführt werden und damit Integration und Toleranz im Umgang mit Menschen aus anderen Ländern fördern.

    Nachdenklich blicken die Schwestern Freschta und Schabnam Ahmadi in die Kamera. Sie erzählen ihre Geschichte über ihr Heimatland Afghanistan, in dem es warm ist, regnet, aber kaum schneit und in dem sie gerne gelebt haben. Ein Land, in dem noch immer viele ihrer Freunde, Bekannte und Familienmitglieder wohnen. Aber sie erzählen auch von den Schattenseiten dieses Landes, in dem Erniedrigung und Kriminalität zur Tagesordnung gehören. Schauspielerisch stellen sie dar, wie unmöglich es für Frauen ist, sich alleine auf den Straßen zu bewegen, wie sie mit Knüppeln gezwungen werden, in ihre Häuser zurückzukehren.

    Sie suchten in Deutschland zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder nach Frieden und einer sicheren Zukunft. Doch diese ist auch in Deutschland ungewiss. Die beiden Schwestern Hanin und Nour Alaa Kasem fühlen sich noch immer tief verbunden zu ihrer Heimat, dem Irak. Die Mutter würde gerne zurückkehren, dem Vater sei es aber zu unsicher. Ihnen bricht es das Herz, wenn sie die grausamen Bilder von ihrer Heimat in den Nachrichten sehen.

    "Offene Menschen, grüne Wiesen, viele Freunde..." - die Augen von Tuyet Tran und Le-Thi-Hong strahlen, als sie von Vietnam berichten. Die Anfangszeit in Deutschland, einem für sie fremden Land mit einer "sehr schweren Sprache", war nicht leicht, da sie besonders mit den Wesensunterschieden klar kommen mussten: "In Vietnam spielen die Kinder draußen auf der Straße, hier in Deutschland bleiben sie eher in den Familien." Die beiden Vietnamesinnen stellen auch schauspielerisch dar, wie schwer es an der neuen Schule in Deutschland war. Ein "geh doch zurück, wo du herkommst" wurde dort nicht selten ausgesprochen. Trotz allem leben die sechs Mädchen gerne in Deutschland. Auch, wenn sie des Öfteren mit der deutschen Bürokratie aneinander geraten.

    "Zu Hause" ist ein Stück, in dem nicht nur die jungen Schauspielerinnen, sondern viel mehr ihre persönlichen Lebensgeschichten im Mittelpunkt stehen und sie dabei viel Mut beweisen.
    (Daniela Schurr)


Schwäbische Post, 16.02.2004
Nichts ist gespielt, alles erlebt
Premiere des Flüchtlingsstückes "Zu Hause" im Alten Rathaus

  • "Früher war unser Land sehr schön", sagt Freschta. Heute ist für sie Afghanistan die Heimat, in die sie nicht zurück kann. Freschta ist eines der sechs Flüchtlingsmädchen, die bei dem Theaterprojekt "Zu Hause" mitmachen. Die darin von Heimat, Flucht und Deutschland erzählen. In erster Linie ist das Stück für Schüler gedacht (wir berichteten). Am Samstag feierte es aber zunächst im Studio im Aalener Alten Rathaus Premiere.

    Einfache Worte sind es, mit denen "Zu Hause" beginnt: Freiheit, Sicherheit, Liebe, Geborgenheit, Schutz, Wurzeln, Geschichte sind auf der Leinwand zu lesen. Dann treten die schwarz gekleideten Mädchen nach und nach vor die Leinwand. Lauschen regungslos mal mit gesenktem, mal stolzem Blick den Toncollagen, in denen sie von ihrer Heimat erzählen. Und erinnern die Zuschauer damit daran, was diese Worte eigentlich bedeuten. Denn die Schwestern Freschta und Schabnam Ahmadi kommen aus Afghanistan, wo es "anhaltende Kampfhandlungen" gibt. Hanin und Nour Alaa Kasem, ebenfalls Schwestern, sind aus dem Irak geflohen, wo die Gewalt "immer mehr eskaliert". Tuyet Tran und Le-Thi Hong kommen aus der jetzt kommunistischen Volksrepublik Vietnam. "Was ist Heimat?", fragen die Flüchtlingsmädchen. Ihre Antwort darauf geben die 14- bis 16-jährigen mittels aufgezeichneten Video-Interviews.

    Leinwand, Tonkollagen, Interviews. Die Theaterpädagogin und Regisseurin Silke Dangelmaier hat ihren Schauspielerinnen verschiedene Medien bereitgestellt, um ihnen zu erleichtern, was so schwierig ist: in einer Sprache, die noch fremd klingt, persönliches preiszugeben. Befreit, nachdenklich, wehmütig, aber auch mit Witz erzählen sie in den Interviews von Verwandten, von Bergen und Flüssen, kichernd wie sie "voll cool" Obst klauten. Aber auch vom Vater, einem Piloten, dessen Flugzeug abgeschossen wurde, von getrennten Familien, Leid und Angst. "Ich kann nicht mehr leben im Irak, da ist jetzt Krieg", sagt Hanin. Trotz ihrer schönen Erinnerungen. Geschichten und Gefühle, die die Jugendlichen live vor dem Publikum wohl hätten nicht erzählen können. Und die zeigen, dass in "Zu Hause" nichts Fiktion ist. Zwischen den Interviews betreten die Mädchen die Bühne, rütteln mit Gedichten und Szenen über Unterdrückung und Abschied zusätzlich auf. "Ich will dich lachen sehen", sagt Tuyet Tran zu Le-Thi Hong und umarmt das weinende Mädchen, das nun in die Fremde geht. Eine Szene, die weh tut, bei der man besonders spürt, dass nichts gespielt, sondern alles erlebt wurde. Wie auch das Leben als Flüchtling in Deutschland, dargestellt in einer Szene über das Sozialamt. Dort blitzt Nour mit ihrer bescheidenen Bitte nach einer Busfahrkarte bei der Angestellten (Schabnam) zunächst ab. Noch demütigender behandelt diese Tuyet Tran, die kein Wort herausbringt: Mit einem "Gehen sie raus, kommen sie wieder, wenn sie wissen, was sie wollen" schickt sie diese vor die Tür wie einen Hund. "Zu Hause" gelingt es in nur 50 Minuten, den Flüchtlingen, die fast unbemerkt mitten unter uns leben, ein Gesicht zu geben. Ein Dokumentarstück, dass bei der Premiere auf ein aufgeschlossenes, begeistertes Publikum traf. Noch spannender ist allerdings, wie es bei den Schülern ankommen wird. Aufgrund großer Nachfrage wird "Zu Hause" am 21. Februar (Samstag) um 18 Uhr noch einmal im Studio im Alten Rathaus aufgeführt. Die Karten gibt es wieder kostenlos, allerdings bittet das Theater um Vorbestellung.
    (Dagmar Oltersdorf)