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Ist das das Leben? Ist das Dreckige Schmutzige Miese Eklige das Leben?
Foto Menschen.Park

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MENSCHEN.PARK
Transhumanistische Show

Aalener Nachrichten, 05.03.2004
"Menschen.Park" spielt mit Utopie und Wirklichkeit
Ein aufregendes und provozierendes Projekt des Theaters der Stadt hatte im Fotostudio "Spectrum" Premiere: "Menschen.Park"

  • Schlagworte fallen. "Perfekte Körper" - "Superintelligenz" - "unbegrenzte Lebenszeit" - "Transhumanität".
    Der Mensch der Zukunft steht im Mittelpunkt des Stückes, das Streben, die Evolution mit Hilfe von Wissenschaft und Technologie in die eigenen Hände zu nehmen. Utopie oder schon Wirklichkeit? Horror oder Heil? Sich darüber eine Meinung zu bilden, bleibt dem Zuschauer überlassen.
    "Wir wollen nicht bewerten, wir wollen das Thema zur Debatte stellen", sagt hinterher der Performance-Künstler Otmar Wagner, mit dem Regisseur Winfried Tobias in Inszenierung und Ausstattung zusammen gearbeitet hat. Und das mit Verfahren, mit denen auch die Gentechnik umgeht. "Wir schnippeln fremdes Material aus, setzen es neu zusammen, und es mutiert", verdeutlicht Tobias.
    Für ihn hat das Stück in seinem Wesen etwas von einem Chromosom. "Das Chromosom hat Ähnlichkeit mit einem Wollknäuel", dozieren die Darsteller Ina Fritsche und Wenzel Banneyer im Laufe der Aufführung. "Ein ziemlich wildes Wollknäuel allerdings." "Hoffentlich", wünscht sich der Regisseur, "hat dieser Abend etwas von einem wilden Wollknäuel."
    Hat er. Von überall haben sich die beiden Macher bedient. Aus Schulbüchern und von "Was ist Was", aus Mythologie, Literatur, Zeitschriften, Film und aus dem Internet stammt ihr Material. Der Zuschauer kann sich ein Vergnügen daraus machen, die Versatzstücke zuzuordnen: Filmausschnitte aus dem Horrorstreifen "Frankenstein" von 1931 und aus dem Science-Fiction-Thriller "Gattaca" von 1998 kommen vor, Textpassagen aus "Die Fliege", ein Zeitschriften-Interview mit einer Schauspielerin über Anti-Aging, Erklärungen aus Bio-Büchern zu Genetik und Gentechnik, Zitate des italienischen Arztes Severino Antinori und mit den Raelisten über die vermeintlich ersten Klon-Babys, ein Text des Autors Rainald Goetz, ein Interview mit Dr. Rainer Rau vom IVF-Zentrum Aalen über künstliche Befruchtung, und immer wieder: Aussagen der so genannten Transhumanisten, einer Bewegung, die dafür eintritt, überlegene, "posthumane" Wesen zu schaffen.
    Natürlich setzen Ina Fritsche und Wenzel Banneyer diese Kost dem Zuschauer nicht einfach so vor. Ganz, wie die Transhumanisten die Verschmelzung von Mensch und Maschine propagieren, kombinieren Tobias und Wagner den Einsatz der beiden Schauspieler mit dem der Technik. Vor dem weißen Rundhorizont in Michael Ankenbrands Fotostudio sind Mikrofone und Kameras aufgebaut, im Abseits stehen Videomischpulte von beeindruckenden Ausmaßen. "Technisch ist das Stück mit enormem Aufwand für unser Haus verbunden", sagt Tobias.
    Das Ergebnis fasziniert. Eine Melange aus Bildern, Klängen, Rhythmen und Schauspiel entsteht, auch eine Melange der Dimensionen: zwei- und dreidimensional, übergroß und modellhaft klein. Im Raum agieren die Darsteller, in klinisches Weiß gekleidet. Hinter ihnen erscheinen Bilder an den Wänden. Filmausschnitte sind dabei, die Fritsche und Banneyer live mit neuem Text unterlegen. Dann wieder zeigt der Videobeamer übergroß, was die Darsteller auf einem Tisch mit Papierfiguren anstellen. "Schnipp", macht Fritsche mit der Schere, und eine Banneyer-Figur ist geköpft. "Die Lustige Welt der Genetik" heißt die Reihe, und in Machart und makabrem Humor hat sie viel von Monty Python's Flying Circus.
    Eine spielerische Leichtigkeit im Umgang mit dem Thema begleitet den Abend, ein provokanter Humor, es dominiert die bewusst übertriebene Glätte einer Verkaufsshow. Der Mensch als Produkt - und die ethische Debatte bleibt außen vor. Fürs Theater birgt dies die Gefahr, von Moralisten in die Nähe von Dr. Frankenstein gerückt zu werden - aber auch die Chance, die Diskussion über eine grundlegende Frage eben erst zu entfachen. Es mischt sich ein: Und dazu ist es da.
    (Sylvia Möcklin)

Schwäbische Post, 05.03.2004
Frösteln im Jungbrunnen des "Menschen.Park"
Ziemlich wildes Wollknäuel

  • Es ist weiß und weich und schillernd wie eine Schneeflocke, das neueste Stück des Aalener Theaters. Zugleich ist "Menschen.Park" so bleischwer, dass es nicht schwebt sondern stürzt. Voran stürzt, sich auf einen stürzt, ein bisschen auch bestürzt bei der Premiere am Mittwoch im Fotostudio Spectrum. Aber wirklich nur ein bisschen.
    Grablichter säumen den Weg zur "transhumanistischen Show", suggerieren makabre Morbidität. Auf alles gefasst, sitzt man schließlich im Rund, blickt auf die weiße Fotowand, die weiße Decke, den nichts sagenden Fußboden. Aber erstens kommt es anders und zweitens ist die Welt schwarz-weiß. Vor allem, wenn es um Gentechnik geht.
    Spotlight: Ina Fritsche und Wenzel Banneyer tragen weiß, futuristisch, glänzend, funktionell. Die Bewegungen sind zielstrebig, programmiert: "Willkommen zur Show"; das Pathos schwingt mit, wenn sie den Gynäkologen Severino Antinori oder die Raelaner-Sekte zitieren: "Idealerweise sollte jeder selbst das Recht haben zu entscheiden, wann und wie er sterben will". Das Licht geht aus, in der Dunkelheit flimmert ein Film, schwarz-weiß, Mary Shelleys Frankenstein von 1931: "Was ist die Ewigkeit?" Und wo ist die Grenze zwischen Forscherdrang und Wahnsinn? Meinungen, Statements, Filmzitate werden zerstückelt, neu zusammengefügt. Die Texte sind zumeist authentisch, die Authentizität jedoch absurd im ästhetischen Filter dieses seltsam willkürlichen Crossovers. Die Dramaturgen Winfried Tobias und der Berliner Otmar Wagner haben aus dem Vollen geschöpft, haben aus vielen Schnipseln ein neues Bild generiert. Funktioniert so Gentechnologie? Das Stück entstand beim Proben, genauer beim Probieren. Wir bauen ein Theaterstück.
    Die Technologie: Zwei Mikrofone, zwei Beamer, vier Kameras, zwei Vokalprozessoren. Dazu zwei Schauspieler, zwei kleine Tische. Das Theater als Teil der technischen Welt, der Welt der unbegrenzten Möglichkeiten. Dennoch greifen die Schauspieler auf Collagen zurück, basteln eigenhändig Chimären aus Illustrierten mit Schere und Kleber. Plastisch, bildlich, skrupellos werden Mensch und Tier in Teile zerlegt, neu zusammengepuzzelt und via Kamera auf die Leinwand geworfen. In Lebensgröße. Ein Text wird dazu vorgetragen aus einem Biologiebuch für Kinder, Genetik für die Kleinen: "...und wenn man genauer hinschaut, dann sieht man, dass das Chromosom Ähnlichkeit mit einem Wollknäuel hat. Ein ziemlich wildes Wollknäuel allerdings".
    "Menschen.Park" gibt sich neutral. Keine Wertung findet sich im Episoden-Reigen. Genetik ohne Ethik-Hammer, das hat man selten. Aber neutral ist brutal in diesem Fall. Klinisch roboterhaft wird manipuliert, kurios, skurril, makaber konterkariert. Szene für Szene schraubt sich in die Gedankenwelt des Zuschauers, in die Welt von Schlagzeilen, Nachrichtenspots, Horrorfilmen.
    Propagandistisch, wissenschaftlich, reißerisch: in der puren Rationalität der Beiträge liegt das leise Grauen vergraben. Showbiz und Wissenschaft gehen Hand in Hand. Ist das die schöne neue Welt? Eine Welt voll Turbooptimismus und Recycling; eine Welt voll blutrünstiger Chimären vielleicht, die in schwarzhumoriger Monty Python-Manier den schönen neuen Menschen praktisch posthuman post mortem führen? Fragen über Fragen, die "Menschen.Park" sicherlich nicht beantwortet; nur aufwirft bei diesem Theaterabend, der in seiner Struktur einem "wilden Wollknäuel" verblüffend ähnelt. Es dauerte übrigens eine ganze Weile, bis jeder Zuschauer am Ende seinen persönlichen roten Faden finden und sich so frank und frei dem frenetischen Applaus widmen konnte.
    (Vivien Moskaliuk)