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DIE RÄUBER
von Friedrich Schiller

Schwäbische Zeitung, 22.07.2005
Sie träumen von Freiheit und werden zu Verbrechern
Action, Spannung, Witz und große Gefühle – was ein guter Film hat, das hat auch die Inszenierung von Schillers "Räubern" am Theater der Stadt Aalen. Mit der Freilichtproduktion verabschiedet sich das Ensemble um Intendantin Simone Sterr von der Schubartstadt – und empfiehlt sich wärmstens für Tübingen.

  • Groß bis ins Monumentale und detailliert bis in kleinste psychologische Verästelungen sind die Aalener "Räuber". Ein intelligentes Kunstwerk, das einen Heidenspaß macht, hat Regisseur Ralf Siebelt geschaffen. Er schickt seine Zuschauer von einer Überraschung zur nächsten, provoziert Aha-Effekte, und prompt erstrahlt der alte Text ganz neu, ganz klar und ganz aktuell.
    Was gibt es nicht alles zu entdecken: Das Rathaus zuerst, einen öden Sichtbetonklotz aus den 70er-Jahren, zentral am Aalener Marktplatz gelegen. Ihn hat der Regisseur als Kulisse auserkoren, bespielt den Platz davor, die Fassade mit ihren Balkonen fünf Stockwerke hoch und auch das Foyer. Hinter Glas entfaltet sich im "Schloss des alten Moor" eine rot erleuchtete Disko, pardon, ein Ball.
    In der monumentalen Kulisse tritt das Ensemble in schwarzer Lederkluft mit Headset an, als bestreite es ein Rockkonzert. Imponierende Scheinwerferbatterien liefern das Licht dazu, der Aalener Komponist Edgar Mann die harten Klänge. Die 70er- Jahre-Band "King Crimson" hat er ausgegraben, neu arrangiert und Schillers Text damit nach Bedarf unterlegt. Die Wirkung: Wie bei Filmmusik eben. Das Rockkonzert-Ambiente ist natürlich kein Zufall. Eine Stimmung wie bei der Uraufführung wollten die Aalener erzeugen, sagt Dramaturg Winfried Tobias, wie 1782 in Mannheim, als das Theater einem Irrenhaus glich mit "rollenden Augen, geballten Fäusten, stampfenden Füßen, heiseren Aufschreien im Zuschauerraum." Schillers Jugendstreich soll seine Wirkung auch 2005 entfalten.
    Tut er. Wer kennt nicht die Euphorie eines Rockkonzerts? Also nimmt man sie auch der Gruppe Jugendlicher ab, die sich mit Bierflaschen auf einer städtischen Bank zuprosten und von Mut und Freiheit schwärmen. Genau so plausibel versinkt ihr Idealismus im Strudel ihrer Verbrechen. Aus Freidenkern auf dem Fahrrad werden ruchlose Rebellen in Militärkluft, die im Jeep mit Maschinengewehr die böhmischen Wälder unsicher machen.
    Dass Schillers Drama fürs moderne Publikum greifbar wird, ist zum einen dieser Projektion auf heute Vertrautes zu verdanken. Zum anderen hat Dramaturg Tobias ein "Aalener Konzentrat" aus dem Text destilliert. Ergebnis sind drei Stunden Spannung, in denen jederzeit klar bleibt, wer wann warum wie handelt.
    Großen Anteil daran haben die Schauspieler. Vor die Herausforderung gestellt, mit einem Mini-Ensemble von sieben Leuten ein Mammutstück zu bestreiten, hat Regisseur Siebelt jedem Akteur zwei Rollen gegeben. So wie Schiller gegensätzliche Gefühle einander gegenüberstellt, hat Siebelt gegensätzliche Charaktere mit einer Person besetzt. Ein kluger Griff vor allem für die Brüder Moor. Sowohl den Fiesling Franz wie den Liebling Karl spielt Wenzel Banneyer. Der gelenkige Schauspieler steht in einer Sekunde noch als Bad Boy im Gehrock auf der Bühne, in der nächsten als Held in Lederjacke. Und so fein er ihre Gegensätzlichkeit herausstellt, so deutlich macht er auch, dass beide "aus demselben Ofen geschossen" sind; beide mit dem Schicksal hadern, Schuld auf sich laden und daran zugrunde gehen.
    Ein Heldendrama, das die Freiheit verherrlicht, sind "Die Räuber" in Aalen nicht; eher eine psychologische Studie über die Ambivalenz des Menschen: Gut und Böse steckt in jedem.
    Schwere Kost serviert das Ensemble seinem Publikum damit nicht, denn das Ganze ist gespickt mit jeder Menge intelligentem Humor: Den alten Moor etwa entsorgt die städtische Müllabfuhr in der grauen Tonne. Es bleibt auch nichts abstrakt: Wenn jemand schießt, dann knallt’s, wenn die Räuber das Schloss stürmen, brennt das Rathaus, und wenn Franz Moor sich erhängt, baumeln seine Beine in luftiger Höhe. Sogar, was der große grüne Vorhang soll, der einer Zeitschiene gleich im Lauf des Stücks immer weiter wandert, bleibt keinem verborgen: www.deutscherwald.de steht darauf. Unter dieser Adresse findet man im Internet übrigens alle Infos zur Aalener Produktion.
    (Sylvia Möcklin)

Aalener Nachrichten, 18.07.2005
Aalens "Räuber" brausen im Militärjeep vors Rathaus

  • Mit einer Räuber-Inszenierung, die ihresgleichen sucht, verabschiedet sich die Theatercrew um Simone Sterr im Schiller-Jahr von der Stadt. Als actionreiches Rock-Open-Air, spannend, stilsicher, straff und mit Witz, haben Regisseur Ralf Siebelt und Dramaturg Winfried Tobias das Drama vor, am und im Rathaus in Szene gesetzt. Der Star ist der Text.
    Verschwitzt und blutrot verschmiert, aber mit strahlenden Augen verbeugen sich die Schauspieler vorm Premierenpublikum. Drei Stunden lang haben sie sich verausgabt, jeder gleich in zwei Rollen, und die Zuschauer gewonnen. Sie ernten stehend Applaus.
    Das kleine Ensemble hat große Action veranstaltet. Die Schauspieler sind im Jeep über die Bühne gerast, haben mit Pistolen geknallt und mit Blut gespritzt. Und doch geht ihr Schiller nie in Effekten unter, im Gegenteil: Jene unterstreichen die alten Worte, machen sie klar verständlich und hoch aktuell.
    In Schillers Jugendstück ist die Sehnsucht nach Freiheit zentral. Wieder und wieder haben seine Inszenierungen ihrem Publikum Lust auf Rebellion gemacht. Wenn Siebelt die Räuber jetzt als junge Rocker in wilder Leder-kluft auf die Bühne schickt und Ina Fritsche sie als Spiegelberg mit blonder Mähne und roter Che Guevara-Kappe verführt, die Mauern von Gesetz und Moral zu sprengen, dann kommen auch 2005 in Aalen die altertümlichen Sätze ganz nah. Und die Begeisterung der Gruppe wird nachvollziehbar, versetzt Siebelt sie doch ins Ambiente eines Rockkonzerts, mit Scheinwerferbatterien, von Edgar Mann arrangierten "King Crimson"-Klängen und Mikrofon, in das die Räuber Passagen sprechen, als wären's Rocksongs.
    Als Ermunterung, die Aalener Verwaltung zu stürzen, kann niemand die Inszenierung missverstehen, auch wenn der Spielort ein schönes Augenzwinkern darstellt. Aber es ist wohl eher seiner Zentralität zu verdanken, dass die Theaterleute gerade das Rathaus gewählt haben. Und enorm, wie die Nacht, die Beleuchtung und die sparsame Hand von Marion Eiselé die Betonfassade in eine beindruckende Kulisse verwandeln, vertraut und doch fremd und genial monumental.
    Für große und schöne Bilder nutzt Siebelt diese Kulisse: Wenn Schiller die Räuber im Wald von der Obrigkeit einkreisen lässt, dann huschen in Aalen schwarz vermummte Scharfschützen hoch oben einen der Rathausbalkone entlang, röhren Hubschrauberrotoren aus Lautsprechern, und die Räuber, von Rockern zu Rebellen in Militärkluft mutiert, ducken sich unten mit Maschinengewehren um ihren Jeep. Wenn es Schillers Franz "Spaß macht, sich mit Pfaffen herumzubeißen", dann erscheint Pastor Moser weit oben auf dem Rathaus, überstrahlt vom Kreuz, dem furchterregenden Symbol eines richtenden Gottes.
    Aber keine Sorge. Wenn die ganz großen Gefühle auch ihren Platz behalten - zu viel Pathos pariert Siebelt mit intelligenten Gags. Den Bastard Hermann holt Franz aus einer Mülltonne, wo er mit rosa Nachttischlämpchen lebt. Das "grausige Loch", in dem der Sohn seinen Vater entsorgt, ist ein Restmülleimer. Und als Ahnengalerie projeziert Amalia Bilder Aalener Stadtoberhäupter ans Rathaus.
    Alles aber wäre nichts ohne die Kunst der Schauspieler, allen voran die von Wenzel Banneyer als beide Brüder. So düster-romantisch sein Karl, so irre-intrigant sein Franz, und das nur durch feine Nuancen im Spiel. Er wechselt die Rollen in Sekunden: Der Jeep, in dem Karl davonbraust, schwängert die Luft noch mit Benzin, da wankt Franz schon auf einen Balkon.
    Katja Bramm gibt eine leidenschaftliche Amalia und den grausamen Schufterle. Leif Stawski ist als erst kalter, dann gebrochener Vater wie auch als Roller dauernd zum Sterben verdammt. Gunnar Kolb scheint der dümmliche Hermann auf den Leib geschrieben, als Kontrast dazu gibt er den tödlich treuen Schweizer. Anne Klöcker als Razmann und Pater sowie Axel Brauch als Grimm vervollständigen die Bande. Alle zusammen spielen sie die "Räuber" als große, mitreißende Show. Und machen den Aalenern den Abschied damit ziemlich schwer.
    (Sylvia Möcklin)

Schwäbische Post, 18.07.2005
Zum Abschied explosives Überraschungsei
"Die Räuber" setzen das Aalener Rathaus und die Herzen des Premierenpublikums in Brand

  • Auf der Betonbalustrade des Aalener Rathauses wanken die poppig aufgesprayten Buchstaben "die Räuber". Später wird der graue Kunststein brennen. Überwältigt von echtem Leben. Oder alles doch nur Schau? Der Bruderkampf um die ideelle Weltherrschaft, das Machtspiel um Treue und Verrat als schrilles Rockdrama? Alles: In Ralf Siebelts hochexplosiver Freilicht-Inszenierung trifft Georg Ringsgwandl auf Friedrich Schiller. Aber haben sie sich wirklich vertragen?
    Von Anfang an macht Ralf Siebelt klar, dass er mit rockigen Mitteln eine schreckensreiche Moritat erzählen möchte. Im, am und vor dem Rathaus als Moorschem Stammsitz (dessen markante Fassade die Ausstatterin Marion Eiselé mit wenigen, klug dosierten zweckmäßig-nüchternen Elementen bespielbar macht) soll das Publikum auf den 320 Schalensitzen nicht fiktiv indoktriniert, sondern im Sinne Brechts mit offenen Karten gut unterhalten werden. Axel Brauch stellt als Grimm gleich mal Geschichte und Akteure nebst Rollen vor: als da sind Wenzel Banneyer als das feindliche Brüderpaar Franz und Karl; Leif Stawski als Vater Moor und Räuber Roller; Gunnar Kolb als Hermann (Bastard von einem Edelmann) und Schweizer; Ina Fritsche als Spiegelberg und Pastor Moser; Anne Klöcker als Razmann und Pater und Katja Bramm als Amalia und Schufterle. Die Doppelrollen machen doppelten Sinn. Schließlich sind die "Räuber" (auch) ein Kräftemessen zwischen Gut und Böse, wobei sich die Unterschiede, bei Lichte betrachtet, verwischen; also eine ambivalente Geschichte über das Schuldigwerden. Zum andern steht dem Theater nicht mehr Spielpersonal zur Verfügung. Die Tugend, die aus dieser Not resultiert, reflektiert geschickt heutige Verhältnisse. Rebellion ist nicht mehr nur Männersache. Weshalb Ina Fritsche den Spiegelberg mit zynischer Verve profilieren kann, Anne Klöcker im verwegenen Kakhi als Flintenweib an Karls Seite springt und Katja Bramm als extrem mieser Schufterle verbal in Schandtaten badet. Gleichzeitig erlebt man sie als löwengleiche Amalia, die in Treue fest zu ihrem Karl steht.
    An der beißt sich sogar der schlimme Finger Franz Moor seine Zähne aus. Und das will etwas heißen. Denn der im besten Sinne schillernde Wenzel Banneyer erfüllt die Kanaille mit so viel giftiger Niedertracht, mit so viel gnadenlosem Machtkalkül, das seine Grenzen nur in sich selbst findet, dass man von dieser implodierenden Gemeinheit kaum genug kriegen kann. Als aufrechter Kerl Karl, der das Gute will und Böses erntet, hat Banneyer da kaum eine Chance gegen sich.
    Bei allem Freilichtspektakel mit Jeep und Bike statt Pferd, vermummtem Sondereinsatzkommando, Feuersturm, Schüssegeknatter und Hubschrauberdröhnen aus den Lautsprechern - es bleibt bestes Schauspielertheater und - man mag's kaum glauben - Schiller pur. Die Geschichte wird schlüssig und im Originalton erzählt. Die Räuber Kosinsky und Schwarz sowie den Hausknecht Daniel vermisst man nicht. Schließlich springt Gunnar Kolb als Herrmann aus der Abfalltonne in die Bresche. Ein zu kurz Gekommener, dem am Ende glaubwürdig das Herz schlägt. Apropos Tonne. Der eminent flexible Leif Stawski muss sich als Alter Moor eng zusammenfalten, damit er im Mülleimer mit der Aufschrift "Restmüll" entsorgt werden kann. (So also geht die neoliberale Gesellschaft, deren Fetisch Gewinnmaximierung heißt, mit ihren Alten um!) Hinterher schaut er aus dem Behältnis wie Nagg in Becketts "Endspiel". Später fühlt man sich unwillkürlich an den "Jedermann" erinnert, wenn der Pastor vor leuchtendem Kreuz dem genial goebbelnden Franz final die Leviten liest. Nah dran bleiben und dennoch Distanz zu diesem emotional aufgeladenen Ideenkonflikt halten - dieser rote Faden wird auch in weiteren Details erkennbar: In der Rockstarattitude, mit der die Mimen mit dem Mikro über die Bühne turnen, wenn sie Kernsätze sprechen; in der Internetadresse www.deutscherwald.de auf dem grünen Tuch, das eben diesen symbolisiert, oder wenn in der Reihe der Ahnen und Anverwandten auf der Rathausfassade das Konterfei des Theatergründungsvaters Ulrich Pfeifle aufleuchtet. Doch zugleich erweist sich der rote Regiefaden als Bruchstelle der Inszenierung. Dieser Schiller lässt sich nicht ironisieren; zu dieser affektgeladenen Sprache lässt sich keine Distanz gewinnen. Nicht so. Oder man bürstet das stürmisch drängende Frühwerk des Zweiundzwanzigjährigen gegen den Strich - und denaturiert es damit. Aber genau das wollte Siebelt nicht. Er wollte Schillers Text die Treue halten.
    Andererseits wäre bei der den "Räubern" eignenden Janusköpfigkeit auch eine andere Interpretation dieses Regiekonzepts denkbar: Durch den von dem Aalener Komponisten und Musiker Edgar Mann aus Tonmaterial der avantgardistischen Siebzigerrockband "King Crimson" zusammen gemischten Rockappeal wird Schillers Pathos für uns Heutige erträglich verständlich. Siebelts "Räuber" zum Abschied aus Aalen als Überraschungsei: außen Ringsgwandl, innen Schiller.
    Die Dramaturgie dieses Abschieds hätte kaum besser inszeniert werden können. Vor einem Jahr hat sich das Theater in der romantischen Räuberkomödie um "Robin Hood" noch in den fernen Wäldern auf Schloss Niederalfingen getummelt. Jetzt erobert es das Aalener Rathaus als bürgerschaftliches Zentrum, mit einem Stück, zu dem sich Schiller einst von einem dichtenden Sohn Aalens inspirieren ließ - von Christian Friedrich Daniel Schubart. Da war es nur recht (und im Sinne des neuen Stadtoberhaupts Martin Gerlach vermutlich auch billig) Bürgerinnen und Bürger als Statisten in die Schlacht ums Rathaus zu schicken. Sieger also auf der ganzen Linie. Dem Manne konnte, frei nach Schiller, geholfen werden.
    (Wolfgang Nussbaumer)

Schwäbische Post, 18.07.2005
"Räuber" sind unwiderstehlich

  • Erwartungsvoll drängten sich am Samstagabend bei bestem Freilichtwetter die Premierengäste auf den 320 Besuchern Platz bietenden Tribünen vor dem Aalener Rathaus. Würde die massive Betonburg dem Ansturm der "Räuber" widerstehen können? Natürlich nicht. Das durch etliche bürgerliche Statisten verstärkte Team des Aalener Theaters eroberte das Schloss der Moors und die Herzen des Publikums mit einer rockig anmutenden Attacke.
    Währenddessen hatten die Ordner draußen ihre liebe Not, Passanten zu stimmlicher Mäßigung zu bewegen. Mit der letzten Inszenierung, mit der sich die Truppe von Simone Sterr gleichzeitig verabschiedet, ist das Theater im Herzen der Stadt angekommen. Mit allen Risiken von Geräuschimmissionen. Denn Aalen City lebt. Bis 31. Juli hoffentlich auch gut mit Schillers "Räubern". Eine ausführliche Besprechung bringen wir heute auf unserer Kulturseite.
    (-uss)